Pop

Große Geste, großer Gesang: „GIRL“

Pharell Williams
Pharell Williams(c) Sony Music
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Mit „Happy“ verzauberte er die Welt. Nun folgt ein phänomenal gutes Album, mit dem er auf Prince' und Michael Jacksons Spuren wandelt. Sonntagnacht tritt er bei der Oscar-Verleihung auf.

Etwas zu schaffen, das die ganze Welt infiziert, davon können die meisten Popkünstler nur träumen. Dem 40-jährigen Sänger und Produzenten Pharrell Williams wurde dieser inflationäre Traum zur Wirklichkeit. Sein im Juni des Vorjahrs veröffentlichter Song „Happy“ erreichte in 175 Ländern die Spitze der Hitparade. Williams Idee, davon ein 24-Stunden-Video an einer Tankstelle zu drehen, zeitigte massive Folgen. Überall in der Welt, vom Hochkar bis nach Tahiti, von Kapstadt bis Buenos Aires drehten Hobbyfilmer charmant verwackelte Videos von Menschen aller Lebensbereiche, die ihre Glieder zu minimalistischen Beats verrenken. Ähnliche Aktivierungen der Massen lösten früher Lieder wie „YMCA“, „Macarena“ und „Lambada“ aus. Mit dem Unterschied, dass man diese bald nicht mehr hören konnte, während „Happy“ etwas Unzerstörbares innezuwohnen scheint.

Das ursprünglich für den Film „Despicable Me 2“ kreierte Stück, ist nun auch für den Oscar nominiert. Williams nimmt es gelassen. Es ist sein dritter Welthit seit Mitte 2013. Zunächst triumphierte er als Vokalist von Daft Punks Sommerhit „Get Lucky“, kurz später löste er als Duettpartner von Robin Thicke Kontroversen mit dem tendenziell frauenfeindlich inszenierten „Blurred Lines“ aus. Grund genug für Williams, sein zweites Soloalbum „GIRL“ zu nennen. „Ja, mit Großbuchstaben und zwei Pausen zwischen den Buchstaben“, sagt er mit fester Stimme. Flankiert von drei hübschen Girls und Company-Granden, machte er in einem abgedunkelten Konferenzraum mit seinem kreativen Animo bekannt: „I wanted to make an album this time that explains the full spectrum of my appreciation for women.“

Eine fatale Anziehungskraft

Die vielen Missverständnisse, die durch das „Blurred Lines“-Video entstanden sind, galt es auszubalancieren. Durchaus seriös formulierte Williams seine frauenpolitischen Statements. Er, der in seinen Firmen, etwa der Boutiquenkette „Billionaire's Club“ vorzugsweise Frauen anstellt, forderte gesamtgesellschaftliche Veränderung wie den gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Mit dem Einzug der Musik war allerdings wieder schnell Schluss mit der Politik. In seinen neun neuen Songs (der zehnte ist „Happy“) geht es einmal mehr um die fatale Anziehungskraft des Weibes. Mit wohlgewählten Worten schwärmt Williams von Silhouetten und Düften, Farben und Formen jener Damen, die seine Innenwelt nachhaltig wärmen.

Der Opener, „Marilyn Monroe“, beeindruckt mit schwärmerischem Geigenintro von Hollywood-Filmkomponist Hans Zimmer. Dann setzen heftige Beats und eine funky Gitarre ein. Im Text zeichnet er Traumgesichte von Marilyn Monroe, Kleopatra und Joan of Arc, letztlich beschwört er aber eine Schönheit, die nicht auf den ersten Blick zu sehen ist. Gegen Ende des Songs wird ihm bewusst, dass es keine Worte braucht, wo es Blicke gibt. „I don't need no adjectives for this girl“, fiepst es aus den mächtigen Lautsprechern. Zum Wumms aus dem Subwoofer klatscht Williams verzückt in die Hände, spielt Luftgitarre und verdreht beim stummen Mitsingen gar ekstatisch die Augen.

Der Mann ist mit Recht von seinem Werk überzeugt. Das war bei seinem ersten Soloalbum, „In My Mind“, vor acht Jahren anders. Er, der als Produzent Stars wie Madonna, Justin Timberlake und Britney Spears mit Hits versorgte, hievte sich aus dem wohligen Dunkel der Studios. Es fühlte sich unbehaglich an. Mit seinem Produktionsteam The Neptunes und seiner Band N.E.R.D hatte er wohl eigene Hits, aber ein Frontmann war er noch lange nicht. Das ist heute gänzlich anders. Pharrell Williams ist gereift, mit sich völlig im Reinen. Sein famoses neues Album ist durchzogen vom unabweisbaren Gefühl der Euphorie. Sie ist durch Perspektivenwechsel entstanden. Die frühere Egozentrik ist dahin. Ab sofort forscht Williams nach den altruistischen Möglichkeiten im Dasein. In die optimistischen Szenarien stimmten auch die geladenen Stargäste fröhlich ein.

Mit Justin Timberlake zelebriert er in „Brand New“ die Magie der Selbsterneuerung. Mit Bad Girl Miley Cyrus tändelt er verführerisch in „Come Get It Bae“, und mit Souldiva Alicia Keys zwitschert er hingebungsvoll im Soulstück „Know Who You Are“. Ja, selbst die Roboter von Daft Punk haben ihren Auftritt. Im verschummerten „Gust of Wind“ dürfen sie in ihre patinierten Vocoder hauchen. Dieses von Arrangeur Zimmer stark am Siebzigerjahre-Soul von Leroy Hutson angelehnte Stück verbindet Schönheit und Schmerz auf ideale Art.

Feilen am perfekten Beat

Beeindruckend, wie Pharrell Williams auf „GIRL“ unterschiedlichste Stränge der Black Music in ein Konzept von Pop einschmilzt, das auch jenen zugänglich ist, die nicht mit Soul, Funk und Hip-Hop sozialisiert wurden. Man darf getrost sagen: Er macht es auf gleichem Niveau wie einst Prince und Michael Jackson, die in den Achtzigerjahren erfolgreich in den Mainstream drängten. Genau wie diese überzeugt Williams mit schnittiger State-of-the-Art-Ästhetik. Melodiöse Lieder wie „Hunter“ und „Gust of Wind“ sind geradezu angefüllt mit neuen Ideen und klingen dabei dennoch herrlich schwerelos.

Nach Jahrzehnten des Feilens am perfekten Beat scheint nun die Zeit des Erntens gekommen zu sein. Drei Grammys hat Pharrell Williams heuer eingeheimst, ein Oscar für „Happy“ sollte sich noch ausgehen. Morgen tritt er bei der Zeremonie auf. Auf seinen imposanten, bei den Grammys getragenen „Mountain Hat“ von Vivien Westwood wird der Zuseher verzichten müssen. Dieser ist zur wohltätigen Versteigerung auf eBay platziert. Zwei Tage vor Ende der Auktion steht er auf 15.200 Dollar. Pharrell ohne Hut, wäre das nicht wie ein Haus ohne Dach? Nur kurz zuckt er mit den Achseln, dann zitiert er sich schlau selbst: „Clap along if you feel like a room without a roof, because I'm happy...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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