Pop

Schauspielhaus Graz: Ivanov reißt junge Birken nieder

(C) Schauspielhaus Graz/ Lupi Spuma
  • Drucken

Eine durchwachsene Inszenierung von Tschechows frühem Drama durch Jan Jochymski: Das Alberne wird bald langweilig, das Finale aber wirkt recht intensiv.

Wie lustig darf Anton Tschechows Drama „Ivanov“ sein, das er mit 27 Jahren schrieb? Dieses 1887 in Moskau uraufgeführte Stück über einen sich überflüssig fühlenden Menschen betont in der überarbeiteten Fassung für Sankt Petersburg 1889 das Tragische. Aber auf beißenden Spott für die herrschende Klasse in Endzeitstimmung wird dennoch nicht verzichtet. Die Ironie wirkt besonders stark, wenn man das Ungesagte durch kunstvolle Pausen offenbar werden lässt. Wer dies nun richtig mischt, kann mit diesem Stück reüssieren.

Jan Jochymski (geboren 1969) entschied sich bei seiner Inszenierung am Schauspielhaus in Graz, die am Wochenende Premiere hatte, für eine weitere Variante: Der Direktor des Theaters Magdeburg verblödelte die ersten beiden Akte. Die folgenden zwei begannen nach der Pause zwar auch mit einer gefälligen Showeinlage, mit einem Rap dreier Herren samt Kampftrinken, endeten aber nach fast drei Stunden mit heiligem Ernst. Paradoxerweise geriet das anfänglich Lustige trotz der Rasanz langweilig, während der Schluss intensiv und spannend war. So entstand ein unentschlossener Eindruck. Es bestätigt sich hier, dass dieses Drama über verletzte Seelen höllisch schwer zu spielen ist.

„Langweilig!“, sagen die öden Gäste

Tschechow, das ist doch der mit den Birken? Tatsächlich steht am Anfang ein einzelnes Exemplar rechts auf der Bühne. (Später werden es fünf Töpfe mit solchen Bäumen sein, die der Titelheld in einem seltenen Anfall von Raserei umkippt.) Dominiert wird die erste Szene durch einen breiten Schilfgürtel im Hintergrund, aus dem heraus die Darsteller zumeist ihre Auftritte machen. Der Himmel darüber ist grau, er wird später schwarz, dann sogar in höchster Dramatik rot.

Vorn schreit also eingangs Ivanov (Marco Albrecht), der unglücklich verheiratete, an seinen Idealen gescheiterte, tief verschuldete Gutsbesitzer, der seinem Leben nichts mehr abgewinnen kann, in einem drastischen Vorgriff des Textes seinen Überdruss aus sich heraus. Hinten machen seine Gattin, die er nicht mehr liebt, und ein nichtsnutziger Verwandter Hausmusik mit Flöte und Klampfe. Ivanov steckt sich Ähren in die Hose, die Socken, den Kragen. Ist er irre? Möchte er aussteigen? Ein Schuss knallt, Verwalter Borkin (Kaspar Locher) erscheint, voll aktiver Ideen, doch sein Chef ist inzwischen bereits in die passive Pose der Melancholie verfallen.

Man könnte auch sagen: „Langweilig!“ Das ist bald vielen hier, vor allem den Gästen der Lebedevs: Margarethe Tiesel und Franz Xaver Zach führen schräg die Tücken einer Ehe vor. Sie ist raffgierig, er ein gutmütiger Säufer. Katharina Klar zeigt als deren Tochter Sascha hinreißend, wie diese in fürsorglicher Liebe zu Ivanov entbrennt, dem Studienfreund ihres Vaters, Schuldner ihrer Mutter. Mit Energie lotet sie das Tieftraurige dieser Situation aus. Der Rest der Gesellschaft lenkt sich mit Kartenspiel und nachlässigem Balzen ab oder durch lüsternen Tratsch. Es interessiert diese Leute, ob Ivanov seine an Tuberkulose erkrankte Frau, die als Jüdin ohnehin gesellschaftlich nicht geachtet ist, fallen lassen wird, ob er seine Finanznöte meistert, indem er nach dem Tod der ersten Frau die jugendliche Sascha mit ihrer rettenden Mitgift heiraten wird. Das ist auch der Kern des Stückes. Woran zerbricht ein Mensch? Genügen dafür verlorene Illusionen? Braucht man unlösbare Gewissenskonflikte? Die Gesellschaft interessiert das weniger. Sie ist auf Skandal aus. Der ist rar.

Meist heißt es im Salon vor einer Wand aus orientalischen Teppichen: „Langweilig!“ Dass solch ein Urteil für diese routinierte, manchmal harmlos lustige Regiearbeit oft nicht gilt, liegt vor allem an schönen Einzelleistungen, etwa von Verena Lercher. Aus Tschechows moralisierendem Arzt Lvov wird hier eine liebende Lesbierin, Frau Dr. Lvova. Gar nicht langweilig. Zur Show neigen Jan Thümer und Pia Luise Händler: Der verarmte Verwandte Ivanovs ist ins Visier der lustigen Witwe geraten, unter wogendem Körpereinsatz will sie sich diesen Grafen greifen, samt Titel. Der Herr aber ziert sich gewaltig.

Das Ende wird diskret ausgespart

Birgit Stöger als Ivanovs Frau kontrastiert diffizil zum Lärm: Die Außenseiterin Anna vollführt anfangs ganz real einen Ringkampf um die Liebe ihres Mannes, sie wirkt aber noch stärker beim Darstellen ihres Verfalls, der sich beschleunigt, nachdem sie den Gatten mit Sascha überrascht und als sie von ihm antisemitisch beschimpft wird. So leidend wie sie aber ist letztendlich auch Ivanov. Marco Albrecht gewinnt im Laufe des Abends an Facettenreichtum. Man könnte bei einigen seiner Szenen fast sagen, es flirrt wie an einem überhitzten Sommertag im Garten unter den Birken. Da muss man das Ende gar nicht mehr konsequent ausführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.