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Gedenken: Wem gehört Anne Frank?

NETHERLANDS MUSICAL
NETHERLANDS MUSICAL(c) APA/EPA/EVERT ELZINGA (EVERT ELZINGA)
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2015 wird es 70 Jahre her sein, dass das – posthum für sein Tagebuch berühmt gewordene – Mädchen im KZ starb. Schon jetzt ist es höchst präsent.

Wollen Sie einen netten Abend mit Anne Frank verbringen? Dann fahren Sie dorthin, wo sie gelebt, sich versteckt und ihre Tagebücher geschrieben hat. In Amsterdam wird nämlich gerade das Theater Amsterdam fertig. Dort hat am 8.Mai das Stück „Anne“ Weltpremiere, nach einem Textbuch von Autor Leon de Winter und seiner Frau Jessica Durlacher. Weitere Premieren sind nicht bekannt, das ganze Jahr über soll künftig „Anne“ gespielt werden, so wie in einem Londoner Theater Agatha Christies „Die Mausefalle“ oder in Paris Ionescos „Die kahle Sängerin“.

Dass dieses eigens zum Gedenken an Anne Frank gegründete Theater auch ein würdiger Ort dafür ist, steht für die dahinterstehende Filmfirma Imagine Nation außer Zweifel: Immerhin habe das Haus 4200 Quadratmeter, ein riesiges Restaurant und allein 16 Damentoiletten, denn „es ist sehr wichtig, dass sich die Menschen zu Hause fühlen, dass sie sich hier gut unterhalten“.

Wichtig für wen, wofür? Auch wenn das Theaterprojekt in Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Fonds entstanden ist, den Annes Vater gegründet hat: Ist es passend, das Gedenken an ein Mädchen, das sich jahrelang in einem Zimmer verstecken musste und dann im Konzentrationslager Bergen-Belsen umkam, in einem möglichst hippen, Komfortrekorde aufstellenden Theater zu pflegen? Die Vorstellung weckt bei vielen Unbehagen.

Ein Gedenk-Theater anderer Art gab es bereits im März im wenige Kilometer entfernten Anne-Frank-Haus, dem „Hinterhaus“ an der Amsterdamer Prinsengracht, das Annes Familie als Versteck gedient hatte. Japans Premierminister Shinzo Abe besuchte überraschend das darin untergebrachte Museum. Es war ein symbolischer Akt aus aktuellem Anlass: In den vergangenen Wochen waren in Tokios Bibliotheken über 300 Exemplare der Anne-Frank-Tagebücher beschädigt und zerstört worden. Der Täter wurde gefasst, das genaue Motiv ist noch nicht klar. Doch laut Berichten erklärte der Verdächtige der Polizei, die Tagebücher seien eine Fälschung.

Die Kugelschreiberlegende

Das glauben viele, und im Nahen Osten lernen es manche Kinder sogar in der Schule. Einige Stellen des Tagebuchs, heißt es, seien mit Kugelschreiber verfasst – der Kugelschreiber wurde aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfunden. Ursprung dieser „Kugelschreiberlegende“ ist ein Gutachten des deutschen Bundeskriminalamts von 1980. Dieses hatte den Auftrag, alle im Tagebuch vorgefundenen Texte zu berücksichtigen, auch die nach dem Krieg angebrachten Notizen. Und so bezog es auch zwei lose Notizzettel früherer Gutachter in die Analyse ein. Das Ergebnis verselbstständigte sich in Revisionistenkreisen und wird durchs Internet heute mehr denn je verbreitet.

Aber warum befand es der japanische Regierungschef wohl für so wichtig, der Zerstörung von Anne-Frank-Büchern ein Zeichen entgegenzusetzen? Wollte er damit etwa an Japans dunklen Part als Deutschlands Verbündeter im Zweiten Weltkrieg erinnern und Vergangenheitsbewältigung betreiben? So wurde es in vielen westlichen Medien interpretiert. Tatsächlich aber sagte Shinzo Abe nichts von Verantwortung für die Vergangenheit und nannte auch keine Staaten beim Namen. Das 20. Jahrhundert sei „von der Verletzung grundlegender Menschenrechte gekennzeichnet gewesen“, erklärte er nur, und Japan wolle im 21. Jahrhundert die Mitverantwortung dafür übernehmen, dass so etwas nicht mehr passiere.

Eine sehr zweideutige Botschaft, wenn man weiß, wie die Tagebücher der Anne Frank in Japan bisher rezipiert wurden. Ab 1950 wurden sie erfolgreich in Deutschland, Frankreich und den USA publiziert; doch nirgends war der Erfolg so bemerkenswert wie in Japan, wo sich fast auf Anhieb 100.000 Stück verkauften. Nur las man Anne Franks Geschichte dort nicht etwa als Botschaft gegen rassistische Ideologien, die Japans unglaublich grausamen Eroberungskrieg gegen China angetrieben hatten. Stattdessen symbolisierte Anne Frank, über die es auch einen japanischen Zeichentrickfilm und etliche Mangas gibt, die Zerstörung einer ganzen Jugend-Generation, die Opfer des Zweiten Weltkriegs überhaupt. Japan sah sich als ultimatives Opfer; und konservativ-nationalistische Kreise wie jene im Umfeld des japanischen Premiers sehen das immer noch so.

„Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden“, nannte der US-Schriftsteller Nathan Englander eine Erzählung. Darin spielen zwei jüdische Paare das „Anne-Frank-Spiel“ – sie überlegen, wem sie trauen könnten, wenn sie sich in einer Situation wie Anne Frank wiederfänden. Da wird Anne Frank sogar zum Beziehungstest. Kaum eine Person des 20. Jahrhunderts und schon gar nicht ein Kind ist so zum allgemeinen Symbol für Geschichte und Menschenschicksale geworden wie dieses zwölfjährige Mädchen. Und trotzdem oder gerade deswegen gibt es viele, viele Anne Franks. „Sie gehört niemandem. Und natürlich gehört sie gleichzeitig uns allen, so wie uns unsere Gedanken gehören“, sagte Englander im Gespräch mit der „Presse“.

Doku-Drama in der ARD

Umso schwieriger wird wohl das Gedenkjahr 2015, in dem sich der Todestag Anne Franks zum 70. Mal jährt. Das hat erst kürzlich das ZDF zu spüren bekommen, als es Anfang 2014 eine für Jüngere gedachte „Mini-Serie“ über Annes Leben plante. Das Projekt platzte, weil der in Basel ansässige Anne-Frank-Fonds protestierte: Er sei nicht konsultiert worden.

Tatsächlich hält der von Annes Vater Otto Frank gegründete Fonds nicht nur die Rechte „an den Originaltexten, Briefen, Geschichten, Tagebüchern und Fotografien“ von Anne und ihrer Familie, sondern auch „sämtliche urheberrechtliche Verwertungsrechte zu Dramatisierungen, Verfilmungen, Bindung von Texten in Opern und Musicals wie auch für Bearbeitungen in der Sekundärliteratur“. Weil der Fonds etwa mit dem Drehbuch zu Robert Dornhelms TV-Zweiteiler „Anne Frank: The Whole Story“ (2001) nicht einverstanden war, musste der Regisseur auf jegliches Zitat aus den Tagebüchern verzichten.

Statt des ZDF macht nun die ARD einen Anne-Frank-Film, als Doku-Drama. Außerdem dreht der deutsche Regisseur Hans Steinbichler einen Kinofilm nach einem Drehbuch von Fred Breinersdorfer, der schon den Text zum Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ geschrieben hat. Der Film-Streit ist vorerst beigelegt. Aber die Frage „Wem gehört Anne Frank?“ wird spätestens 2015 wiederkommen – nicht nur in Japan.

ZUR PERSON

Annelies Marie „Anne“ Frank, geboren 1929 in Frankfurt am Main, emigrierte 1934 mit ihren Eltern in die Niederlande, um dem NS-Terror zu entgehen. Kurz vor Kriegsende fiel sie ihm doch zum Opfer: Sie starb Anfang März 1945 im KZ Bergen-Belsen. Zuvor hatte sie sich mit ihrer Familie in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckt gehalten, wo sie ihre Erlebnisse und Gedanken in einem Tagebuch niederschrieb. Dieses wurde nach dem Krieg von ihrem Vater Otto Frank veröffentlicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)

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