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Austro-Pop: Chuzpe sind wieder da

(C) Hannah Wildner
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32 Jahre nach „1000 Takte Tanz“ veröffentlicht der Kern der Wiener Post-Punkband nun das Album „Vor 100.000 Jahren“.

„Die Lichter gingen aus um acht, tote Stadt und tote Nacht. Gute Kräfte haben sie dann farbig, lang oder laut gemacht, sich in abstrusen Ideen verfranst, zu schrägen Tönen schlecht getanzt. Keine Angst und wenig Geld, zu klug, zu schön für diese Welt.“

Ja, so lässt sie sich gut erzählen, die Legende von der öden Stadt Wien, die Anfang der Achtziger von der Neuen Welle und ihren Neonlichtern wachgeküsst wurde. Wie jede gute Legende hat auch diese einen historischen Kern, und in diesem spielten Chuzpe, die 1976 als erste Punkband Wiens begonnen hatten, eine wichtige Rolle. Ihr Chef war Robert Wolf vulgo Robert Räudig, eine der originellsten Figuren der Szene, im Hauptberuf Postler, im Hobbyberuf Post-Punk; dazu kam Stephan Wildner, ein Psychiater, der sich Graf Hadik nannte, virtuos mit den Händen tanzte und den billigsten aller Synthesizer („Davolisint“) spielte. Den beiden gelangen Slogans, die bis heute zitiert werden: „Zu klug für diese Welt“, „Die guten Kräfte sammeln sich“, „Der Rhythmus dieser Stadt“, „Tote Körper tanzen anders“ usw., vertont mit eingängiger, aber schlauer Musik, die nicht mehr Punk war, ganz sicher nicht Rock und eigentlich eher kein Disco. So entstand das Album „1000 Takte Tanz“, 1982 erschienen, 2012 neu aufgelegt, ein Klassiker der Moderne.

Dass es das werden konnte, ermöglichte ironischerweise ein Mann, der zunächst nicht wirklich mit Punk und New Wave zu tun hatte: Andi Kolm, Profimusiker und Jurist (Spezialgebiet: Urheberrecht), mit einem schönen Proberaum in Untersievering. Er bastelte mit Wolf – damals ebenfalls in Döbling, allerdings im weniger mondänen Teil ansässig –, Wildner und dem viel zu früh (1987) gestorbenen Christian Brandl zunächst eine kongeniale Coverversion des gerade erst erschienenen Joy-Division-Songs „Love Will Tear Us Apart“. Dann eben „1000 Takte Tanz“. Lange hielt diese Ausgabe von Chuzpe nicht, es waren schnelle Zeiten, die Band gab es wohl weiter, aber mit anderem, wieder räudigerem Klang und u. a. einer abstrusen englischen (!) Coverversion von Ambros' „Da Hofa“.

Dass 32 Jahre nach „1000 Takte Tanz“ nun ein Quasi-Nachfolgealbum erscheint, ist dem Klangmeister Kolm zu verdanken. Er flocht zeitlos moderne Elektronen-Musik, dann holte er Wolf zum Texteschreiben. Dieser kluge Mann versuchte gar nicht, die Aufbruchstimmung von damals zu simulieren, die Selbstironie von damals hat er sich ohnehin erhalten. So hören wir u. a. Lieder mit den schönen Titeln „Vor 100.000 Jahren war alles ganz anders“ (aus dem die eingangs zitierten Zeilen stammen), „Superschalter“, „Was vom Punkrock übrig blieb“ – mit dem Refrain „Hey, wir haben überlebt, wir haben uns selber überlebt“ –, „Zwischen allen Stühlen“ und, vielleicht am schönsten, das auch mit einer ewigen Melodie versehene „Das letzte Lied (wird das erste sein)“. Berührend, wie innig der alte Punk, der einst in Songs wie „Beisl-Anarchie“ die Hippies verspottete, sich hier mit einer Obsession dieser Generation aussöhnt: mit dem langen Marsch, von dem man nicht so recht weiß, wo er hinführt.

Was noch gesagt werden muss: Auch Stephan Wildner singt mit, und das ist gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2014)

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