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Im Menschen-Zoo von Krems

(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Auch im Jahr zehn lockt das Donaufestival gewitzt in die Nischen der Gegenkultur. Mit Lichtduschen, düsteren Elektro-Performances und Menschen im Käfig.

Dass man die größte Freiheit zuweilen in kleinsten Klosterzellen finden kann, ist bekannt. Um Mauern zum Verschwinden zu bringen, drang der spanische Künstler Santiago Sierra in Stein ein, um fünf ausgewählte Insassen mit einer Art Lichtdusche aus den Zwängen der Anstalt zu befreien. Zum Einsatz kam dabei das Stroboskop Lucia No. 3, das eine sogenannte hypnagoge Lichterfahrung ermöglicht, die vergleichbar sein soll mit Erfahrungen in Hochleistungssport, LSD-Rausch und Todesnähe.

Das künstlerische Ergebnis dieser Sessions war dann überraschend mau. Der 13-minütige Schwarz-Weiß-Film „Lucia & The Prisoners“ zeigt in biederer Schnitttechnik abwechselnd triste Anstaltsräume und verpixelte Gefangenengesichter. Nichts war drüber zu erfahren, ob überhaupt ein Transzendenzerlebnis stattgefunden hat. Also wagten einige Besucher den Selbstversuch mit Lucia No. 3. Die Reise nach Hypnagogia, dem geheimnisvollen Land aufgetürmter Farb- und Formwelten, labte nachhaltig. Die anschließende Düsternis bei der Klangperformance von Vessel in der Minoritenkriche war so gleich leichter zu ertragen. Dieses von der sphärischen Anmutung her durchaus mit alten Arbeiten des deutschen Elektronikpioniers Klaus Schulze zu vergleichende Ohrenkino lockte in eine Art bittere Ursuppe. Kreiert vom erst 22-jährigen, aus Bristol stammenden Sebastian Gainsborough, verlangten die konsequent in den tieferen Frequenzen angesiedelten Sounds nach dem devoten Hörer, der geduldig um Einlass in die erratische Ästhetik bittet. Wie im Gottesdienst galt es auszuharren, wollte man in echte Fühlung mit dem Numinosen kommen.

Der Fortschritt der Klangkunst liegt heutzutage nicht selten in der totalen Reduktion, beinah in der Aufgabe eitlen Formwillens. Der aus Detroit stammende Techno-Demiurg Jeff Mills agierte ganz nach diesem Prinzip. Das Volk im prall gefüllten Stadtsaal starrte fasziniert auf seine hektischen Verrichtungen, die zu kaum merklichen Soundmodulationen führten. Ursprünglich wollte Mills seine Fans acht Stunden lang nonstop behexen. Seine Finger durften dann nur drei Stunden über die Knöpfe der Mischpulte tanzen.

Koalition aus Mensch und Maschine

Einen weniger abstrakten Zugang zu den Rhythmen praktizierten Ninos Du Brasil. Frappierend, wie ideal da ekstatische Samba- und Batucadotrommeltechniken mit Technobeats harmonierten. Zu dieser großen Koalition aus Menschen- und Maschinenrhythmen wurde sogar getanzt, ein Phänomen, das beim Donaufestival nur mehr selten zu beobachten ist. Richtig gut gaffen war erwartungsgemäß beim frisch installierten Human Zoo, einem Projekt von God's Entertainment. Gesellschaftliche Randgruppen wie Tagelöhner, Sexarbeiter, Immigranten, Kriminelle, Sandler, alleinerziehende Mütter, Punks und Frühpensionisten wurden in traditioneller Käfighaltung gezeigt. Jeder Spezies war ein lateinischer Name zugewiesen, und in bewährter Menageriemanier wurde der geneigte Besucher über Lebensraum, Ernährungsgewohnheiten und Vorkommen belehrt. Auch füttern und kommunizieren war erwünscht.

Die erwerbstüchtige Gunstgewerblerin verteilte gezielt Visitenkarten und ließ sich von jungen Besucherinnen zu ihren (durchaus prononcierten) Moralvorstellungen im Bereich des Männerdomestizierens befragen. Der afrikanische Flüchtling war beim Versuch zu beobachten, heimisches Verhalten zu imitieren. Passioniert wechselte er bei der Fernsehübertragung eines Fußballmatches mehrfach die Beinstellung. Wohlgemerkt: in liegender Haltung. Der ausgestellte Punk randalierte ebenso glaubwürdig wie die Obdachlose ihre Depression in gewerbsmäßig verwertbare Faąon brachte. Bitteres Fazit dieses Menschen-Zoos: Soziales Stigma hat längst Warencharakter angenommen. Unter Randgruppen herrscht heftige Konkurrenz. Verbitterung wirkt unattraktiv, jeder ist angehalten trotz aller Bedrängnis einen Schmäh zu entwickeln, getreu dem alten Motto des Jazzsaxofonisten Lester Young: „Laughing to keep from crying.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2014)

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