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Miley Cyrus in Wien: Das erotisierte Kinderzimmer

KONZERT MILEY CYRUS
KONZERT MILEY CYRUS(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Miley Cyrus führte ihre überladene „Bangerz“-Show in der Wiener Stadthalle vor. Zwischen Gummibusen und Plüschtieren, zwischen Lotterbett und Süßigkeiten blieb offen: Was ist die DNA dieser Pop-Person?

Geboren aus den eigenen Lippen, auf der eigenen Zunge auf die Bühne gerutscht, nach circa zwei Stunden auf einem Hotdog davongeflogen, wiedergekehrt, um zwei Hits zu singen und die amerikanische Nation mit einer Party zu ehren . . . Heiliger Freud, was für eine Popheldinnensaga! Leider war die Flut an Zeichen und Gesten, an Rufen und Sounds, die Miley Cyrus dazwischen in die überhitzte Stadthalle warf, deutlich weniger konzise. Man wurde den Eindruck nicht los: Diese Tochter eines braven Country-Sängers, die als braver Kinderstar Hannah Montana begonnen hat, beschäftigt für ihren Versuch, alles andere als brav zu sein, zu viele Konzeptionisten und Dramaturgen, Produzenten und Komponisten, die sich nicht einigen können, wer und wie Miley Cyrus sein und wie sie klingen soll.

„I'm not a mistake, I'm not a fake, it's set in my DNA, don't change me“, sang sie in „Can't Be Tamed“ vor einem riesigen Hund mit funkelnden Augen, der, wie sie erklärte, an ein verstorbenes Tier erinnern sollte, das einst in ihrem Besitz stand. Aber was ist ihre DNA? Und was ist das Unzähmbare an ihr? Ja, natürlich, die Sexualität, das alte Biest. Die einem die Zunge zeigt und der man die Zunge zeigen muss, immer wieder: Diese Lieblingsgeste der Miley Cyrus wirkt dabei weniger sexy oder frech als kindlich. Und ein bisschen zwanghaft. So wie ihr ständiger Griff zwischen die Beine. So wie ihr Spucken ins Publikum. „You might think I'm crazy, that I'm lost and foolish“, sang sie in „Maybe You're Right“, nachdem sie sich einen üppigen Gummibusen umgehängt und an dessen Nippeln gesaugt hatte. Und dann tanzte wieder ein riesiges Plüschtier über die Bühne, ein bisschen täppisch, ein bisschen bedrohlich, ziemlich unmotiviert, wie das karierte Pferd ein paar Songs zuvor. Obwohl: Was wäre ein Mädchenzimmer ohne Pferde?

Die Welt der Miley Cyrus ist ein seltsam mutiertes Mädchenzimmer. In ihr lagert das Spielzeug aus den Kindertagen in der gleichen Lade wie skurrile Geräte, die man heute gern sprechend „Sexspielzeug“ nennt; in ihren Videos sehen Süßigkeiten aus wie Drogen und Drogen wie Süßigkeiten; die Monster und Teddybären wackeln synchron mit den Hinterteilen. Wenn ihre überladene, fast chaotische Show etwas erzählt, dann ist es die Geschichte vom Eros, der sich still und unbemerkt ins Kinderzimmer schleicht, als ob das Erwachsenwerden nur ein Kostümwechsel wäre, von süß auf sexy, von herzig auf lasziv. Die emblematischen Lippen der Rolling Stones (die Cyrus so klar verwendet, dass man sich fragt, ob da nicht schon ein Fall für Tantiemen ist) sind ohnehin schon längst beliebtes Motiv für Kinder-T-Shirts.

Egal ob Miley Cyrus selbst oder einer ihrer Berater die Idee hatte, sie ist genial: „Lucy In The Sky With Diamonds“ von den Beatles ins Zentrum des Sets zu stellen, in einer fantastischen Version übrigens, mit einem Refrain, der vor lauter gebündelter Energie fast kollabierte. Dieser Song, der 1967 definierte, was man unter einer „psychedelischen“ Landschaft zu verstehen hatte („tangerine trees“, „marmalade skies“, „flowers that grow so incredibly high“) ist ja durchaus auch als Kinderfantasie zu verstehen: John Lennon leugnete stets, dass die Anfangsbuchstaben der Substantiva absichtlich „LSD“ sind und erklärte, eine Zeichnung seines vierjährigen Sohnes – und „Alice im Wunderland“ – hätten ihn zu diesem Song inspiriert.

Jedenfalls ist das „girl with kaleidoscope eyes“ in „Lucy In The sky“ deutlich interessanter als die Jolene im gleichnamigen Song von Dolly Parton, den Miley Cyrus ebenfalls ins Programm genommen hat. Vielleicht um zu zeigen, dass sie bei aller großstädtischen Verderbtheit im Innersten doch ein Country Girl aus Nashville, Tennessee, ist, das die Stimme am meisten strapaziert, wenn es darum geht, eine Konkurrentin anzuflehen: „Please, don't take my man!“

Ja, die Männer. Wo sind sie übrigens in der „Bangerz“-Show? Nur in einer Szene, die auf einem großen Lotterbett spielt, wirken zwei Lustknaben explizit mit. Sonst war das ganze Theater weitgehend rein weiblich. Und im Publikum? Geschätzte 75 Prozent Mädchen (und Mütter). Wo waren die Buben, die auf die kecke Miley Cyrus so wild reagierten, wie die Mädchen vor einem Jahr auf den kühnen Justin Bieber? Ja, gewiss, hier gibt es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, Buben kreischen nicht, schon gar nicht kollektiv. Aber das Problem ist da, und es wird bleiben: Der Pop hat den jungen Männern immer weniger zu bieten, weder Identifikationsobjekte noch solche der Sehnsucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2014)

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