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Rolling Stones: Es ist (nicht) nur Rock'n'Roll - Lass es bluten!

THE ROLLING STONES ON FIRE VIENNA
THE ROLLING STONES ON FIRE VIENNA(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Nach über 50 Jahren ist es ihnen noch immer ernst mit dem Blues: Das zeigten die Rolling Stones bei ihrer Show in Wien. Nichts zum Lachen oder Lächeln.

Ja, gewiss, ein, zwei, vielleicht drei Mal hat Mick Jagger doch gelächelt im Praterstadion. Oder besser: gegrinst. Sein breites, leicht höhnisches Grinsen, in dem jeder Muskel des hageren Gesichts sagt: Okay, ich mache mit bei dem Theater, wenn's denn sein muss; aber auch der Chef ist eigentlich nicht heiterer Laune . . . Nein, Mick Jagger ist kein Lächler. Das war er nie, das waren seine Rolling Stones nie, das machte sie aus, damals, als sie versuchten, die Beatles links zu überholen: der Verzicht auf Freundlichkeit, auf Verbindlichkeit. Spiel nicht mit mir, sang Jagger, denn du spielst mit Feuer. Das sang er zwar nicht im Praterstadion, aber „Get Off Of My Cloud": Verschwindet aus meiner Wolke, behelligt mich nicht. Mit verächtlicher Miene sang er das, wie es sich gehört: Der Blues - und es war, ist und bleibt der Blues - ist kein harmloser Volkssport für die Rolling Stones. Über die Lippen und die Zunge, die seit Jahrzehnten das Emblem der Stones sind, die die Videos ihrer „14 On Fire"-Show beherrschen, tropft Blut. „Honey, that's no Rock'n'Roll show", heißt es im Mördersong „Midnight Rambler"; „Rape, murder, it's just a shot away" in „Gimme Shelter".

Eindeutig zweideutige Sexualmetaphorik

Doch davon später. Zuerst kamen natürlich die offenbar - leider - unvermeidlichen leutseligen Rocknummern: das in seiner eindeutig zweideutigen Sexualmetaphorik schon plumpe „Start Me Up", das unerträglich biedere „You Got Me Rocking". Dann die ersten Blutstropfen in „It's Only Rock'n'Roll": „If I could stick a pen in my heart", sang Jagger mit steinernem Gesicht, „spill it all over the stage, would that satisfy you?" Nein, das ist nicht Anbiederung, das ist eine Abrechnung, das strafte all die deutschen Sprüche Lügen, die Jagger brav auswendig gelernt hatte: „Es ist gut, zurück zu sein in diesem Stadion", sagte er - Feder ins Herz, in welchem Stadion, in dem er schon war, würde er das nicht sagen? Nun, immerhin die Ansage, er sei an einer Coverversion von Conchita Wursts „Rise Like A Phoenix" gescheitert, war exklusiv . . . Dann, wieder etwas weniger ambivalent, etwas bodenständiger, „Tumblin' Dice": Die Spielernummer mündete in eine ausgedehnte Beschwörung der Beharrlichkeit: „Keep on rollin'", irgendwann einmal werden die Würfel schon auf Glückszahlen fallen. Keith Richards und Ron Wood ließen ihre Gitarren klagen und jubeln zugleich, richtig und falsch zugleich, egal, dazu mengten sich der alte Bobby Keys (in texanischer Tracht) und der junge Tim Ries an den Saxofonen, es war ein herrlich wildes Gebräu, ein bittersüßer Lobpreis des Lebens an und für sich: „Ain't it good to be alive", wie Jagger danach in „Angie" sang, einer seiner beiden Balladen des Abends. In der anderen, „Out Of Control", blies er die Mundharmonika, als ob er sich und uns alle wegblasen wollte.

Und dann grinste er wieder, breit und leicht verächtlich, als er - nach einem gehörig schmuddeligen „Honky Tonk Women" - die anderen alten Buben vorstellte: mager und hohlwangig, vom Leben und vom Blues gezeichnet, aber willens, mit beidem weiterzumachen. Und entschlossen, dabei eine Hetz' zu haben: Es immer wieder rührend, wie schüchtern Charlie Watts ins Rampenlicht tritt, wie gut Wood und Richards einander verstehen. Dass dieser auf eine bezaubernde Weise nicht singen kann, zeigte er diesmal bei „Can't Be Seen" und „You Got The Silver", einer intensiv klagenden Nummer aus „Let It Bleed" (1969).

Lisa Fisher: Wackere Königin der Nacht

Auf diesem Album sind die Stones wohl am weitesten in düstere Gefilde vorgedrungen, haben am konsequentesten die Abgründe erforscht, die sich am Rande des Blues auftun. Dort wo der streunende „Midnight Rambler" sich als ganz und gar nicht harmlose Figur herausstellt, der zum Vergnügen mit seinem „black cat cloak" auftritt, sondern als Vergewaltiger, als Frauenmörder. Dieser tief beunruhigende Song bildet das Zentrum der aktuellen Show, die Stones dehnten ihn aus, als dritter Gitarrist kam Mick Taylor dazu, trieb den Blues bis in die Sinnlosigkeit, Mick Jagger spielte mit dem Entsetzen, das entsteht, wenn er genau in diesem blutigen Szenario das Publikum zum Mitmachen animiert. Der nächste dunkle Höhepunkt - nach einem routiniert groovenden „Miss You" - war „Gimme Shelter": Der flehende Schrei nach Schutz in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, lässt noch immer schaudern, auch wenn Sängerin Lisa Fisher die höchsten Töne verfehlt. Dass sie trotzdem eine wackere Königin der Nacht ist, zeigte sie, indem, sie Richards aufs (nicht mehr ganz straffe) Kinn und Jagger auf den (materiell nicht vorhandenen) Bauch griff. Was konnte nach diesem Fanal noch kommen? „Jumpin' Jack Flash", natürlich, und „Sympathy For The Devil", inszeniert vor Bildern von brennenden Wäldern. „Just call me Lucifer", sang Jagger; Richards warf ein Solo drein, in dem keine Note zuviel war: pure Dringlichkeit. Tausende Male hat er diese Töne schon gespielt, und noch immer klingen sie nicht nach Routine. Sondern nach tiefem Ernst.

Das ist das Geheimnis der alten Stones: Sie bestehen auf dem Ernst, der Bedrohlichkeit hinter dem Spiel des Rock'n'Roll. Nur wenn man das tut, kann man mit 70 noch wie ein Junger überzeugend „I can't get no satisfaction" singen. Mick Jagger kann das. Und nein, er lächelt nicht dabei.

Setlist vom Stones-Konzert im Happel-Stadion:

01. Start Me Up

02. You Got Me Rocking

03. It's Only Rock 'n' Roll (But I Like It)

04. Tumbling Dice

05. Angie

06. Doom and Gloom

07. Get Off of My Cloud
(Wunschsong)

08. Out of Control

09. Honky Tonk Women

10. You Got the Silver (Gesang: Keith Richards)

11. Can't Be Seen (Gesang: Keith Richards)

12. Midnight Rambler (mit Mick Taylor)

13. Miss You

14. Gimme Shelter

15. Jumpin' Jack Flash

16. Sympathy for the Devil

17. Brown Sugar

Zugaben:

18. You Can't Always Get What You Want

19. (I Can't Get No) Satisfaction

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2014)

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