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Jack White liebt den Blues, besonders mit 78 Umdrehungen

(c) Reuters (OLIVIA HARRIS)
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Je altertümlicher, umso besser: Jack White, die männliche Hälfte der White Stripes, ein gelernter Polsterer, bekennt sich zum elektroakustischen Handwerk - und zur Wehleidigkeit. Auf "Lazaretto" - in den Billboard-Charts schon auf Platz eins - grübelt er auch über Exfrauen.

Jack White ist nicht nur nach Blues-Antiquitäten süchtig, sondern auch Vinyl-Fetischist. Für sein zweites Soloalbum „Lazaretto“ hat er sich Besonderes ausgedacht. Es ist in drei Geschwindigkeiten abspielbar und enthält Hologramme und versteckte Songs, die erst hörbar werden, wenn man sie mit 78 Umdrehungen abspielt. Die Bonussongs sind dort eingeritzt, wo die Labeletikette platziert ist. White nennt das „Under Label Groove“. In der „Ultra-Edition“ kann man ein Stück auch mit alternativen Anfängen hören: Je nachdem, wo man die Nadel aufsetzt, startet der Song elektrisch oder akustisch. Für die Single „Lazaretto“ hat White übrigens einen Weltrekord aufgestellt: An einem einzigen Tag wurde sie aufgenommen, gepresst und das Artwork fertiggestellt. Um 15.55 Uhr Ortszeit war sie in den Läden von Nashville.

Man merkt: Dieser Mann kommt aus dem Handwerk. Als er noch auf den Namen John Anthony Gillis hörte und in Detroit lebte, machte er sich mit 22 selbstständig. Als Polsterer. Dieser Beruf dürfte mittlerweile nur mehr in China bekannt sein. Klugerweise sattelte Gillis aufs Gitarrenriffgewerbe um. Mit hysterischen Stadionkrachern wie „Seven Nation Army“ legte er den Grundstein für sein hübsches Retro-Imperium in Nashville, Tennessee. Third Man Records nennen sich sein Label und sein Plattenladen. Eben hat er das neue Album von Neil Young produziert: Coverversionen von alten Songs, aufgenommen im Voice-O-Graph, einer Aufnahmekabine aus den Vierzigerjahren. White liebt alles Mechanische und altertümlich Technische. Er besitzt gepflegte Jukeboxen und sogar eine mit viel Liebe zum Detail renovierte Telefonkabine. Ähnlich sorgsam geht er mit den musikalischen Traditionen von Blues, Rock und Country um, die der Rohstoff seiner sich gerne kantig gebenden Kunst sind.

Auf seinem zweiten Soloalbum schlägt er auch überraschend sanfte Töne an. Gott ist, zumindest im Titelsong „Lazaretto“, eine sphinxgleiche Frau. „She tells me every day: Jack, don't you see? When I say nothing I say everything.“ White praktiziert als Songwriter gerne ähnliche Rätselstrategien: Er teilt sich durch unterschiedliche lyrische Ichs mit. „I'm getting better or becoming a ghost“, warnt er im von düsterem E-Piano untermalten „Would You Fight For My Love?“. Durch seinen Scheidungskrieg mit der Sängerin Karen Elson merkbar beziehungsgeschädigt, verschanzt er sich in seinen Liedern hinter seinen Figuren. Über „Lost feelings of love“ sinniert er in „Alone In My Home“, einem zwar schunkelnden, aber doch reuevollen Lied.

Bei den Black Keys entschuldigt

Im Country von „Entitlement“ fasst White schließlich, während Pedal Steel und Mandoline wimmern, Mut zu umfassender Wehleidigkeit: „Every time when I'm doing what I want to do, somebody comes and tells me I'm wrong.“ Der Blues brennt ihm in der Seele. So sehr, dass er sich jüngst sogar bei seinen Intimfeinden, den Retro-Blues-Meistern Black Keys, für seine Verbalattacken entschuldigt hat. Die Damen haben es bei ihm nicht so einfach. In „Three Women“ grübelt White über drei garstige Exfrauen: die er nach den Haarfarben Rot, Blond und Brünett charakterisiert. Dass sein Sexualtrieb trotz aller schlechten Erfahrungen ungebrochen ist, befremdet ihn ein wenig: „How come I gotta have a woman, to blow this blues away?“ Dazu pfeift eine räudige Orgel, wie man sie zuletzt wohl auf „Speed King“ von Deep Purple gehört hat. Das Trostpotenzial von Vintage Sounds ist für Herren mittleren Alters eben unübertrefflich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2014)

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