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Bei Bob Dylan ist es immer kurz nach zwölf

(c) REUTERS (MARIO ANZUONI)
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19 Songs aus einer zeitlosen Welt: Der Altmeister begeisterte mit einem in sich stimmigen Programm, in dem ruhige, altersweise Lieder wie "Soon After Midnight" dominierten.

Zum Gedenken an den am Freitag gestorbenen Soulmusiker Bobby Womack spielten die Rolling Stones am Samstag bei ihrem Konzert in Werchter, Belgien, spontan „It's All over Now“, das Stück von Womack, mit dem sie 1964 ihren ersten Nummer-eins-Hit hatten.

Würdig und recht so, mag sich der Leser denken, aber wieso beginnt die Besprechung eines Bob-Dylan-Konzerts damit? Da das auch ein Thema für etliche Bob-Dylan-Fans am Samstag in der Stadthalle war. Und da diese wissen: Von Dylan sind solche Extempores, solche Bezugnahmen auf Aktuelles, genauso wenig zu erwarten wie Ansprachen an das Publikum. Dieser in sich gekehrte Mann berichtet aus einer zeitlosen Welt. In der die große Flut, die 1927 Louisiana überschwemmte, von der er in „High Water“ erzählt, genauso heute und immer stattfindet wie das Date mit der „Fairy Queen“, über das er in „Soon After Midnight“ singt.

Ja, es ist immer kurz nach Mitternacht und zugleich High Noon in der Welt des 73-jährigen Bob Dylan, es ist alles gesagt und getan und kann genau deshalb wieder und wieder gesagt und getan werden. „The end is near, the Seven Wonders of the World are here“, singt Dylan in einer vor Innigkeit fast berstenden Version von „Scarlet Town“: „The evil and the good livin' side by side, all human forms seem glorified.“ Und: „All things are beautiful in their time.“

Auch Wut und Ohnmacht sind schön

Sogar die glühende Wut, die Dylan in „Pay in Blood“ spuckt, die Ohnmacht, mit der er in „Love Sick“ mit der Liebe abrechnet, der Grant, den er eingangs in „Things Have Changed“ programmatisch vorstellt, der Hohn, den er zum Schluss in „Long And Wasted Years“ einer Verflossenen – allen Verflossenen? – nachschickt. Doch die Höhepunkte des Programms sind die ruhigen, milden, altersweisen Songs. „What Good Am I?“ etwa, aus „Oh Mercy“ (1989), das in seiner aktuellen, jede Silbe betonenden Interpretation zur Abschätzung eines ganzen Lebens zu werden scheint. Oder „Forgetful Heart“, in dem Dylan die Melodie des Songs richtiggehend liebkost.

Was er bei seinen Live-Interpretationen bekanntlich nicht immer tut. In „She Belongs to Me“ etwa quälte er sich diesmal, sang die schönen Zeilen, als wüsste er auch nicht mehr so ganz, welcher Frau er einst wieso zu Weihnachten eine Trommel geschenkt hat... Spätestens, wenn Dylan die Mundharmonika sagen lässt, was seine Stimme nicht mehr sagen kann und/oder will, ist man wieder versöhnt. Und „Tangled up in Blue“ und „Simple Twist of Fate“ wirken, auch wenn man nicht jedes Wort versteht, immerhin hat ein großer Teil des Publikums mit diesen verschlungenen Erzählungen gelebt.

Dass Dylan derzeit – ungewöhnlich für seine „Never Ending Tour“ – seine Setlist mit wenigen Ausnahmen konstant hält, mag manche Fans, die nach Überraschungen gieren, enttäuschen. Doch es trägt zur Intensität der Konzerte bei: Man spürt, dass Dylans Begleitmusikern kein Ton egal ist, dass sie aufeinander und auf ihn hören, ohne dauernd fürchten zu müssen, dass dem Meister eine spontane Grille einfällt. Manchmal lassen sie es rauschen und rauchen wie in einem düsteren Roadmovie, manchmal nähern sie sich auf fast unheimliche Weise der Stille. In „All along the Watchtower“ etwa. Und dann hörte man doch wieder den Wind heulen.

Hoffentlich noch lange.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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