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Rambling Boy: Der Bassist, der den Jazz zu befreien half

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Er war eine der zentralen Figuren der Freejazz-Revolution: Charlie Haden ist 76-jährig in Los Angeles gestorben.

Auch wer noch nie Charlie Haden gehört, vielleicht gar noch nie bewusst Jazz gehört hat, kennt ein Thema von ihm. Das sagt zumindest der britische Popsänger Ian Dury: Er habe das Riff seines Songs „Sex And Drugs And Rock'n'Roll“ aus einem Solo Charlie Hadens entwickelt. Und zwar aus dem Stück „Ramblin'“ auf einem Album von Ornette Coleman: „Change Of The Century“. Haden selbst sagt dagegen, das Solo sei ein alter Folksong gewesen...

Das sagt schon viel über Charlie Haden, über seine Wurzeln, den immensen Einfluss, den er über den Jazz hinaus hatte. Und auch der Albumtitel spricht Bände: „Change Of The Century“, was für ein stolzes, zukunftsfrohes Programm! Vor allem in Kombination mit den Titeln der anderen Alben, die das Ornette Coleman Quartet mit Charlie Haden von 1959 bis 1961 aufnahm: „The Shape Of Things To Come“, „This Is Our Music“, und schließlich „Free Jazz“. Das war damals noch keine Stilbezeichnung, „free“ war auch nicht nur ein Adjektiv, sondern vor allem ein Imperativ: Befreit den Jazz! Diese Befreiung von melodischen, harmonischen und rhythmischen Schranken geschah in diesem Quartett aus Saxofon, Trompete, Bass und Schlagzeug (ohne Klavier!), und dann, auf „Free Jazz“, mit zwei Quartetten, sie klingt noch immer aufregender als vieles, was heute unter Freejazz läuft. Und cooler.

Das hymnische Pathos, das das andere große Quartett des frühen Freejazz, jenes von John Coltrane (mit Klavier!), auszeichnete, fehlte hier, dafür herrschte ein gewisses trockenes Understatement, das dazu beitrug, dass diese Art von Jazz zwei Jahrzehnte später für Punk und New Wave so wichtig werden sollte. Zu diesem Understatement gehört, darauf zu verzichten, mit instrumentellen Fertigkeiten zu protzen. Auch Charlie Haden, gewiss ein Virtuose auf seinen vier Saiten, tat das nie, er spielte immer lieber eine Note weniger als eine mehr. Sogar im ersten Keith Jarrett Trio, das – heute unvorstellbar – auch Songs von Bob Dylan interpretierte, beim wunderbaren Quartett „Old And New Dreams“ sowieso.

Die Freiheit, die Charlie Haden in der Musik suchte, stand auch für sein politisches Engagement für die Linke, vor allem für die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika: 1969 gründete er gemeinsam mit Carla Bley das Liberation Music Orchestra, das u.a. Lieder aus dem spanischen Bürgerkrieg und einen „Song For Che“ im Programm hatte. Letzterer brachte ihn im Portugal vor der Nelkenrevolution sogar einmal hinter Gittern.

So revolutionär er musikalisch und politisch dachte, so fest ruhte er in der Tradition seiner Heimat – und seiner Familie: Seine Eltern spielten Country, Folk und Bluegrass, sie gestalteten die Radiosendung „Haden Family Radio Show“. Auch seine Kinder wurden Musiker, Josh Haden etwa bei der Band Spain. Sie alle und viele Gäste, darunter Elvis Costello, wirkten 2008 auf der rührenden Platte „Rambling Boy“ mit.

Heuer erschien noch das Album „Last Dance“. Nun ist Charlie Haden an seiner alten Krankheit, der Kinderlähmung, gestorben. Er wurde 76.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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