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Der Tanznachwuchs hat Freud gelesen

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[8:tension](c) Joana Patita - Impulstanz.com
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ImPulsTanz Wien. In der jungen Schiene des Festivals treten Roboterwesen auf. Auch bloße Zehen sind zu sehen, sexy Bagger und eine Frau im Rosenanzug, die lautlos schreien kann. Das Experimentierfeld ist eröffnet.

[8:tension] nennt ImPulsTanz die Schiene, die die Aufmerksamkeit auf den Choreografienachwuchs lenken soll. Und der nützt die Chance. Teresa Silva zum Beispiel, die sich im Hosenanzug mit romantischem Rosenmuster mit klitzekleinen Bewegungen langsam in den Lichtkegel schiebt. Ihr gemeinsam mit Filipe Pereira kreiertes Stück „What Remains of What Has Passed“ pendelt atmosphärisch zwischen Komik und Tragik. Einmal reißt Silva den Mund weit auf und starrt mit großen Augen ins Publikum. Als die ersten kichern, beginnt das Zuschauen schon wehzutun. Wie lange kann man mit offenem Mund dastehen? Erst wirken Silvas Augen belustigt, erstaunt, dann traurig, ängstlich, schließlich gequält. Das Kinn zittert – keiner lacht mehr. Silva entströmt ein Wimmern, das sich zum Kreischen steigert, bevor ihr Gesicht in einem stummen Schrei erstarrt. Eine kleine Geste mit großer Wirkung.

Noch ein Talent minimalistischer Bewegungssprache: Anne-Mareike Hess klebt sich die Haare mit gelber Farbe an den Kopf, schlüpft in einen Plastikanzug, schmiert sich mit Öl ein und erobert die Bühne mit abgehackten Bewegungen. Choreografin Rosalind Goldberg lässt ihre Tänzerin in „MIT“ wie eine Figur aus einem Computerspiel ferngesteuert über die Bühne zappeln. Es scheint so, als würden die Geräusche die Bewegungen dirigieren: leises Knistern, ferner Verkehrslärm, ein Knarren wie von einem Baum – die Tänzerin lässt ihre Glieder zucken, vollführt Roboter-Breakdance und sackt zusammen. Ein künstlicher Charakter, der mit hilfloser Ausgeliefertheit berührt.

Das Gegenteil zeigt Geumhyung Jeong. Sie führt in „Oil Pressure Vibrator“ den Gedanken der Selbstbestimmtheit ad absurdum. Anhand von Videos erzählt sie, wie sie Hermaphrodit wird, wie ihr Sexleben erlahmt und sie sich einen grotesken Gespielen erschafft. Dann entdeckt sie das Objekt ihrer Begierde: einen Bagger – und plant den ultimativen Orgasmus mit Todesfolge. Jeong spielt mit der Verwirrung des Publikums: Was an der Geschichte ist wahr? Der „Oil Pressure Vibrator“ tritt jedenfalls in Aktion, und das ist gleichzeitig grotesk und amüsant.

Philosophischer ist Hannes Wurms Performance „Far Away so Close“. Er habe als Kind oft seine Zehen betrachtet, fasziniert davon, dass diese so weit entfernt und doch ein Teil von ihm sind, schreibt Wurm ins Programmheft. Zu einem Text von Sigmund Freud („Das Unheimliche“, 1919) schält er seine Füße aus den blauen Turnschuhen und gibt den Zehen Raum, sich zu präsentieren. Das und Freuds Text regen zum Sinnieren an über die Furcht vor dem Unbekannten und sprachliche Spielarten von Heimeligkeit. Ein Tanz der Gedanken, der auch von einem feinen Humor umweht ist. Fein.

Zusatzvorstellung von „Swan Lake“

Das Festival läuft bis 17. August. Wegen der großen Nachfrage wurde u.a. eine Zusatzvorstellung von Dada Masilos „Swan Lake“ angesetzt: Freitag, 25. Juli, um 18 Uhr im Volkstheater. Hannes Wurm performt noch am 24., 26., 28. und 30. 7. sowie am 1. 8. im Schauspielhaus; Geumhyung Jeongs und Rosalind Goldbergs Stücke sind am 23. 7. im Kasino am Schwarzenbergplatz zu sehen. (i.w.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2014)

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