Pop

Neil Young in Wien: Der Mehrwert des Moll

AUSTRIA MUSIC
AUSTRIA MUSIC(c) APA/EPA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
  • Drucken

Kritik. Neil Young lockt mit den tosenden Crazy Horse und herrlich simplen Liedern über die Liebe und den Wilden Westen an die Ränder des Bewusstseins.

Manchmal schien er mit den Augen zu rollen, dieser von grober, aber doch liebender Hand geschnitzte Indianerhäuptling, der da den rechten Bühnenrand säumte. Er war wohl Abbild von Tashunke Witko, dem legendären Anführer der Lakota-Indianer, der den weißen Eindringlingen in den 1870er-Jahren zähen Widerstand leistete. Hundert Jahre später benennt sich eine Band nach ihm: Crazy Horse. Dieses Trio ist bald für seine mal donnernde, mal raunende Ästhetik bekannt. Und auch dafür, dass es regelmäßig mit Neil Young musiziert. Nicht weniger als 16 Studioalben sind dabei entstanden. Darunter Meisterwerke wie „After the Goldrush" (1970) und „Rust Never Sleeps" (1978), aber auch atonale Seltsamkeiten wie „Re-Ac-Tor" (1981).

Ralph Molina, das letzte Originalmitglied der 1968 gegründeten Band, sorgte an diesem Abend von Beginn an für erbarmungslos peitschende Beats. Gitarrist Frank Sampedro, seit 1975 dabei, webte gemeinsam mit Neil Young an endlosen, simplen Linien, die beim Hörer zweierlei verursachten: schmerzvolle Fadesse oder eine Art Trancegefühl. Bassist Rick Rosas musste sich in diesem simplen Szenario nicht die Finger verrenken. Er konnte sich darauf konzentrieren, stoisch zu schauen, als blickte er in seinen letzten Sonnenuntergang. Seit Karl May hat wahrscheinlich kein Nichtamerikaner die Geschichten des Wilden Westens inniger als dieser seltsame Kanadier nacherzählt, der 1966 in einem Pontiac-Leichenwagen in die USA einreiste, um sein Glück zu finden. In den Weiten des amerikanischen Südens erlitt er seinen ersten epileptischen Anfall, und irgendwo auf diesen Landstraßen schrieb er auch seinen ersten bedeutenden Song. In ihnen hatte die Liebe stets viel Platz, sie waren aber auch dicht bevölkert: mit Marlon Brando und Pocahontas, mit Astronauten und Aztekenhäuptlingen, Cowboys und Desperados. So dauerte es an diesem Abend in der Wiener Stadthalle nicht lange, bis erste Indianerhorden in den Blick gerieten. „Going Home" nannte sich das episch zelebrierte Songjuwel, in dem sich General Custer im Stillen sorgt, dass ihn Native Americans in die ewigen Jagdgründe befördern könnten. „Living with War" hieß ein anderer Song. „I never bow to the laws of the thought police", sang er mit schneidender Stimme. Und: „I take a holy vow, to never kill again."

Es hätte keines Schwurs bedurft, um zu erkennen, dass dieser ein Hippie, ein konsequenter Verfechter von "love and peace" ist. Young vermutet das Glück jenseits der Zivilisation. Er ahnt, dass es wohl immer Fiktion bleiben muss, und arbeitet doch konkret daran, die Welt zu verbessern. Tapfer hält er in unserer pragmatischen Leistungsgesellschaft am Aufbruchsethos der 68er-Generation fest. Der Gegenwind bringt höchstens das durcheinander, was von seiner langen Matte, im Jargon der Zeit „hippie flag" genannt, übrig ist. „Ideas that once seem so right, now have gotten hard to say", bedauerte er im von mächtigem Gitarrenfeedback unterfütterten „Days That Used To Be".

Seltsam alterslos schnitt sich seine fistelige, recht unmännliche Stimme in die Gehörgänge. Womöglich geht sie gerade deshalb so zu Herzen. Besonders intensiv war sie in „Love To Burn", einem vergessenen Broadway-Hit von Walter Donaldson, der auch für Klassiker wie „Love Me Or Leave" und „My Baby Just Cares for Me" verantwortlich zeichnet. „Late one night I was walking in the valley of hearts", hieß es da zu Beginn einer Reise, die ins Feuer führte. Mit „You gotta crawl to be tall" wurde mit einem Parodoxon der Liebe bekanntgemacht. Young mag Flammen, selbst wenn sie Verderbnis bedeuten. Seine Zeile „Better burn out than fade away", von Kurt Cobain in seinem Abschiedsbrief zitiert, hat sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt. Leider wurde „Hey Hey, My My (into the Black)" diesmal nicht gespielt. Dafür gab es intensiv beklatschte Rückgriffe auf „Name of Love" aus der Ära von Crosby, Stills, Nash and Young und Bob Dylans „Blowin´ in the Wind", das sein Urheber nur mehr stark ironisiert singen kann.

Für seinen einzigen, echten Hit „Heart of Gold" stand Young allein, nur mit Akustikgitarre bewehrt auf der großen Bühne. Sonst rieb er sich Schulter an Schulter mit Sampedro durch episch ausgewalzte Zeitlupengrooves à la „Cortez the Killer". Als Zugabe gab es das brandneue „Who´s Gonna Stand up And Save the Earth". Solange sich dieser Erlöser nicht zeigt, verharren wir gern in Youngs schattigem Moll. Selig schlafend die einen, in Trance vibrierend die anderen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.