Pop

Rosa Khmer und Josef S. auf der Kremser Bühne

Die 18. Ausgabe von Glatt & verkehrt bot zarte Weisen und rüde Politsongs bei Auftritten von Afro-Göttin Fatoumata Diawara, Brasil-Lebemann Lenine, dem Khmer Music Bus und dem britischen Protestler Billy Bragg.

Billy Bragg, der immer noch kampfeslustige Politbarde aus Großbritannien, erzählte, dass er sich den Festivalnamen mit Hilfe seines iPhones übersetzt hätte. Das Ergebnis smooth & wrong erstaunte ihn, definiert er sich doch immer noch als rough & right. „Right“ im Sinne von Richtung, denn politisch stand Bragg immer stramm links. Mit seiner Technikaffinität zählte er zu den Ausnahmen eines Festivals, bei dem die meisten Künstler aus Urwald, Wüste und einsamen Bergregionen kommen.

Glatt & verkehrt, nun schon zum 18. Mal behutsam von den Intendanten Jo Aichinger und Albert Hosp komponiert, stellt am liebsten autochthone Musiker aus alten Kulturen vor, die nichts mit dem kommerziellen Popbetrieb zu tun haben. Das weiß das nicht gerade exzessiv junge Publikum zu schätzen. Egal, ob weltoffener Konservativer oder Alt-Hippie – die Leute bringen eigene Sitzpolster und Zuwezahrer (Operngucker) mit. Manche Musik ist leicht konsumierbar, weil sie nach karibischer Schiffskreuzfahrt klingt. Anderes bleibt archaisch und angenehm fremd wie etwa heuer Khmer Music Bus, fünf Vertreter der beinah systematisch vernichteten Kultur Kambodschas. Wenn der blinde, alte Yoeun Mik da sein Tro Sou zupfte und dazu mit monotoner Stimme sang, wurde den Wohlstandsbürgern blümerant, ohne dass sie exakt wussten, wovon die Rede war. Mik ist einer der wenigen, die die Massaker der Roten Khmer überlebt haben. Als die Sängerin Than Seyma ihm fürsorglich die Wasserflasche an die Lippen hielt, löste das Sonderapplaus aus.


Empathie in Krems. Das Kremser Publikum zeigt gerne Empathie. Die Sitzhaltung der nun die Farbe rosa präferierenden Khmer (das Wort bezeichnet schlicht das Staatsvolk von Kambodscha) mochte seltsam anmuten, auch der Klang ihrer exotischen Instrumente. Bei den wesentlichen Parametern des Lebens triumphierten die Ähnlichkeiten über die Unterschiede. Ein Lied handelte etwa von den Sorgen und dem permanent unbefriedigten Ruhebedürfnis von Eltern. Die anmutige Sängerin Than Seyma koste mit picksüßen Melodien, die rätselhafter Weise doch kitschfrei waren. Zum Leidwesen rockmusikbeschädigter Hörer zeigte sich, dass das Drumsolo auch in fernen Kulturen fröhliche Urständ' feiert. Von durchgängiger Zärtlichkeit war hingegen der Auftritt des Brasilianers Lenine. Gemeinsam mit dem niederländischen Martin Fondse Orchestra erschloss er seinen köstlich groovenden Songs mit Hilfe von vertrackten Arrangements neue Dimensionen. Da labten markante Baßklarinettenklänge genauso wie die fremdartigen Töne, wie sie das von Fondse persönlich gespielte Vibrandoneon erzeugte, eine Art Quetsche, die per Schlauch beatmet wurde. Lenine selbst spielte eine scharfe Gitarre, sang in neckischem Kontrast beinah lämmchenartig dazu. Lieder wie „Chao“ und „Jack Soul Brasileiro“ erinnerten an das Ouevre von Jorge Ben, in dem, wenn es nicht um Fußball ging, nichts als schöne Frauen besungen wurden.


Souveräne Sängerin. Bildhübsch war auch Liedermacherin Fatoumata Diawara, Vertreterin eines Afrika, das sich selbstbewusst zwischen Tradition und Moderne verortet. Zu ihren Fans zählen immerhin britische Stars wie Damon Albarn und Paul McCartney. Sie präsentierte sich mit ihrem neuen, gemeinsam mit dem kubanischen Pianisten Roberto Fonseca ausgetüftelten Programm. Man wusste schnell: Lieber hätte man sie allein auftreten gesehen. Fonseca zelebrierte sein profundes Halbwissen von den Wurzeln der afro-kubanischen Musik mit viel Machismo. Das wirkte ein bisserl armselig neben der souveränen Sängerin aus Mali, die auch wieder ihren famosen Ngoni-Spieler Sidibé Drissa mit hatte. Ihre Lieder, in denen es oft um weibliche Selbstermächtigung geht, hatten ähnlich kämpferischen Duktus wie das schöne Set Billy Braggs.


Texte von Guthrie. Neben bewährten Klassenkampf-Klassikern wie „New England“ und „There is a Power in the Union“ präsentierte er eigene Melodien nach alten Texten von Protestsong-Ikone Woody Guthrie. Einmal rief er gar dessen legendären, auf Gitarre geklebten Slogan „This machine kills fascists!“. Einen Guthrie-Song widmete er gar dem Akademikerballkombattanten Josef S., was die einen als anbiedernd, die anderen als Zeugnis dafür deuteten, dass Bragg immer auf der Höhe der Zeit ist.

Highlight war dennoch „No one knows nothing anymore“, wo er fehlende Gewissheiten beklagte. „What if we're just passing through time?“, fragte er und ließ keinen Zweifel, dass es auch dann einer universellen Ethik bedarf.

Tipp:
"Glatt und Verkehrt", letzter Tag:
"Den Orient im Herzen", Musiker von Andalusien bis Kurdistan, Sonntag, ab 17 Uhr
Winzer Krems - Sandgrube 13, Krems

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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