Das fünfte Popfest Wien, Leistungsschau und Kirtag in einem, lockte wieder Massen auf den Karlsplatz, etwa zur regionalen Großmacht Molden, Resetarits, Soyka, Wirth.
"Wir haben euch lieb!", riefen die Veranstalter Gabi Hegedüs und Christoph Möderndorfer mit sich überschlagenden Stimmen ins Publikum. Möglichst vor jedem Act. So etwas hört man sonst nur bei Religionsstiftern. „Ihr seids (sic!) das Popfest Wien!“ wurde den Zuhörern am Ende bedeutet. Das Kompliment kam gratis, aber nicht umsonst. Selbst der Gastronomie sollte man applaudieren und möglichst all die Superlative übernehmen, die die überstolzen Erfinder des Popfests Wien ausgeheckt haben. Wie berauscht wirkten sie von der schieren Anzahl der Besucher. Und womöglich fütterte das Köpfemeer auch manchem Musiker das unter dem Jahr zerzauste Ego.
Nüchtern betrachtet, funktioniert das Popfest Wien wie ein Kirtag: Es bietet Rituale der Entgrenzung, Alkohol, unbegründete Verbrüder- und Verschwesterungen und viel Musik. Kleine Labels bieten Musikprodukte und die verpartnerte Radiostation T-Shirts feil. Im lauen Abendwind wehen Sponsorenbanner, wackelt ein hoffentlich mundaufgeblasenes Riesenentlein im Teich. Die Umbaupausen wurden von einem sogenannten Brandwagen einer Aufputschlimonadenfirma aus beschallt. Das kratzte dann ein wenig im Ohr. Seebühne nennen die Veranstalter diesen Spielort. Ja, Humor muss man auch zeigen. Noch wichtiger ist nur die Demut. Im Programmheft dankten die Veranstalter exzessiv. Jeder ist wichtig! Jeder braucht Liebe!
Leider funktioniert das im Alltag selten. Im Popbusiness gilt das Gesetz des Mittelmäßigeren. Meist klingelt die Kassa bei durchschnittlicher Musik am häufigsten. Dem Qualitätssegment bleibt oft nur mehr der sogenannte Kultstatus. Manchmal nicht einmal der. Am Samstagabend hieß es, sich mit den gebotenen verbalen Maskeraden zu begnügen. Etwa mit der rührenden These, dass Lylit, die größte Soulstimme des Landes sei. Lylit ist die Vorarlbergerin Eva Klampfer, die schon berufliche Erfahrung in den USA gesammelt hat. Nachweislich. Nicht wie bei Left Boy, bloß in der Fantasie. Dessen „Hätti-wari-Wäri“ wurde zuletzt wenigstens als Fake Biography gelobt. Mit ihr lässt sich ein dickes Bein in die Businesstüre stellen. Bei Miss Lylit lässt sich die Biografie amtlich überprüfen. Nur der Soulfaktor leider nicht.
Fernet, Smart und Spezialtoast
Statt Subtilitäten bot sie bloß gefühlige Klischees, statt Soul, circensische Stimmbanddehnungen. Dieser keineswegs unerhebliche Mangel focht nicht jeden an. Da waren Menschen, die entzückt von diesem Mainstreamgesang mit den Zeigefingern in den Abendhimmel stachen. „Four Walls“, von der Stimmhalterin als „ultimativer Break-up-Song“ bezeichnet, war immerhin perfekter Ö3-Pop. Mit Molden, Resetarits, Soyka, Wirth trat dann eine regionale Großmacht an. Liebend gern ließ man sich von ihnen in den Nachbarbezirk entführen, ins „Malipop“ in die Ungargasse, wo sich mit Fernet, Smart und Spezialtoast dem täglichen Weltuntergang trotzen lässt. Die charaktervollen Stimmen dieser Herren sind das beste Beispiel dafür, dass Feeling mit unverschulten Stimmen am leichtesten zu evozieren ist. Besonders selig machte der Wechselgesang im von einer kantigen Slidegitarre umflorten „Ho Rugg“. Moldens detailverliebte Ergießungen zu den Themen „Lem“ und „Dod“ ersparen womöglich das Lesen dicker Bücher. „Toboggan“, das Lied vom „Rudschduam“, führte auf grundehrliches Eskapismusterrain. Ein Leben ohne Praterfee, ja, es ist möglich. Wenigstens in der zur Poesie treibenden Jahreszeit, in der „de Blia blian“.
Nach diesem schönen Radio-Wien-Einschub folgte mit Holy Oxygen noch eine Bubenbande ganz nach dem Geschmack von FM4. Auch hier gab es einen Gründungsmythos, einen, der mit Internet, Südafrika und Anstreifungen an Kanye West und Theophilius London aufwartete. Umso schmerzlicher fühlte man die tiefe Kluft zwischen Möglichem und Faktischem. „Internet Jetset Zuper“, eine brustschwache Silbenratterei von MC Okmalumkoolkat verlockte zum Fremdschämen. Die Rhythmustracks waren zwar meist schwer okay, aber die dazu abgesetzten Raps, ein erbarmungswürdiges Stottern nach Zahlen. Mit biegsamem Rückgrat wich die Kombo jeglicher sozial relevanter Message aus. Aber vielleicht muss dieser von Ko-Kurator Schlögl gepriesene „Sound of heute“ auch so tun, als lebten wir in politischer und gesellschaftlicher Alternativlosigkeit.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)