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Frequency: Angst wird im Post-Punk Ekstase

FREQUENCY 2014: EDITORS
FREQUENCY 2014: EDITORSAPA/HERBERT P. OCZERET
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Der Schlusstag des Festivals brachte mit den Editors und den Kooks zwei britische Bands, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Beide sind auf ihre Art groß.

Die Perspektive, dass man einmal gewesen sein wird, ist dem gelernten Wiener eine ganz liebe. Die britische Post-Punk-Band Editors mag es ebenfalls, die Dinge vom Ende aus zu betrachten. Eines ihrer Alben trägt den schönen Titel „An End Has a Start“. „You'll lose everything by the end“, sang der hagere Tom Smith an diesem Samstagabend mit viel Schärfe in der Kehle.

Kein Zweifel, die Heimat dieses Menschen ist das Moll. Atmosphärisch ideal zogen schwere Regenwolken über das Gelände. Zum Wasserabladen dürfte es ihnen zu trist heraufgetönt haben. Hörte man den Editors aufmerksam zu, dann hatte es den Anschein, als interpretierten sie das Leben als langsame Krankheit zum Tode hin. „More and more people I know are getting ill“, intonierte Smith kurzatmig. Ein wenig später, in „Smokers outside the Hospital Doors“, wurde alle Empathie genutzt, um sich in das Todkranke hineinzufantasieren. „Say goodbye to everyone you have ever known, you are not gonna see them ever again“, wehklagte Smith mit spasmischen Verrenkungen.

Für diese Band aus der tristen Midlands-Metropole Birmingham hat alles Gewicht. Die Welt und erst recht die Liebe. Alles zieht hinunter. Beim gitarrenfeedbacklastigen „A Ton of Love“ wurden aber auch klandestine Zusammenhänge aufgedeckt. „I lit a match in Vienna tonight, it caused a fire in New York“, hieß es da. Russell Leetch, angetan mit einem marineblauen Beamtenkurzmäntelchen, fiel da mit markantem Bass auf. Seine galligen Melodielinien gemahnten an Peter Hooks bedrohliches Spiel, wie er es in seiner Zeit bei Joy Division und New Order pflegte.

Abstieg vom Gipfel der Verzweiflung

Ihren umjubelten Auftritt bei Frequency starteten die Briten mit „Sugar“ vom aktuellen Opus „The Weight of Love“, auf dem sie weniger niederschmetternd klingen als gewöhnlich. Dennoch galt auch hier die Unmöglichkeit einer Erlösung durch Cupidos Pfeil: „It breaks my heart to love you.“ Also wieder nichts mit dem Glück. Den großen Reiz der Kunst der Editors macht aus, dass sie widerstrebende Gefühle nie zu harmonisieren versuchen. Mit viel Verve steigerten sie sich in eine Trance der Randständigkeit, versuchten, Angst in Ekstase zu verwandeln.

Das glückt auch auf dem neuen Album ziemlich gut. In Nashville mit Jacquire King (Stammproduzent der Kings of Leon) aufgenommen, tönen sie durchwegs amerikanisch. Umfassende Trostlosigkeit ist kein Gut, mit dem der Amerikaner handeln mag. Also gaben es die Editors punkto Tristesse diesmal ein wenig kleiner. Der Song „Formaldehyde“ klang live fast nach frühem Springsteen. Smiths attraktiver Bariton kann eben auch kunstvoll kratzig klingen. Zu den Highlights zählten auch das rasante „Racing Rats“ und das elegische „Nothing“. Schön langsam kommen die Editors von den Gipfeln ihrer Verzweiflung wieder runter. Hoffentlich gehen sich noch ein paar gute Songs aus, bevor sie dann im Meer des Stadionmainstreams untergehen.

Gemütsaufhellung aus Brighton

Während sich das Unfrisierbare bei den Editors in den Köpfen befindet, sitzt es bei den Kooks einfach obenauf. Ein stoppellockiger Schlagzeuger und Sänger Luke Pritchard, der wuschelig ist wie einst nur Marc Bolan. Anders als ihre depressiven Kollegen entstammen sie der sonnigen, am Meer situierten Stadt Brighton. Dementsprechend gemütsaufhellender ist ihre Musik. Wie die Editors haben auch sie gerade einmal vier Alben gemacht. Das brandneue Opus „Listen“ wird Ende August veröffentlicht.

Idealerweise hatten sie schon einige neue Songs im Repertoire. Etwa das lieb abgehackt gesungene „Down“, dessen feine Melodielinie allen Vergleichen mit dem von den Kooks bewunderten David-Bowie-Songbook standhält. Oder auch „Westside“, eine sehr drängend gesungene Ode an urbanes Leben. In „It Was London“ schwärmten sie gar von der Revolution in der Hauptstadt, die sich einst von Covent Garden nach Brixton wälzte. Aber in der Hauptsache fokussierten sie das schöne Leben. In „Oh La“ gehörte ihr Begeisterungsvermögen ganz den getupften Petticoats der Mädchen, denen sie beistehen wollen. „I know you girl in all situations“, versprach Pritchard treuherzig.

Und ja: Man kann dem Leben auch freundlich gesinnt sein, ohne Blödheit zu verbreiten. Entzückende Performance!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2014)

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