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Magic Numbers: So unbritisch kann Brit-Pop sein

(c) EPA (Juan Vrijdag)
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"Ich hasste es", sagt Sänger Romeo Stodart über seine Wahlheimat. So klingen seine Magic Numbers auch mehr nach der US-Westküste als nach dem kühlen England.

Nein, hier regiert nicht die Ökonomie: Schon „Wake Up“, der erste Song auf dem neuen Album der Magic Numbers, verwöhnt mit einer Opulenz, die ungewöhnlich geworden ist in der Popwelt. Ohne Genierer greift diese Band in die Honigtöpfe, eine infektiöse Melodie trägt die unzeitgemäße Empfindsamkeit von Sänger Romeo Stodart. Ganz in der romantischen Tradition zelebriert er den Riss in der Welt: hier Coolness und Vernunft, dort Mystik und Gefühle. „We're imprisoned by our own affection“, singt er in zartestem Vibrato. Dann setzt das große Brausen ein: scheppernde West-Coast-Gitarren, Trommelei und der heulende Unisonogesang der beiden Damen...

In seiner Verstiegenheit erinnert das an an das Werk der kalifornischen Band Quicksilver Messenger Service in den frühen Siebzigern. Und tatsächlich hat Romeo Stodart eine Schwäche für diese Ära. Seit seiner frühen Jugend liebt er die Musik von Joni Mitchell, den Beach Boys und den Byrds, Neil Young nennt er „einen meiner Helden“.

Eine erstaunliche Auswahl für einen Mann mit Geburtsjahr 1977. Man versteht sie besser, wenn man weiß, dass Stodart und seine Schwester Michele eigentlich aus Amerika stammen. In Trinidad geboren, in New York aufgewachsen, war die Ankunft in Großbritannien für ihn eine Art Kulturschock. „Ich hasste es“, erklärt er der „Presse“ beim Interview im King's Head Pub in London: „Die Leute sind so frostig hier. Diese Reserviertheit macht mir heute noch zu schaffen.“ Das hört man: Die Magic Numbers, bestehend aus zwei Geschwisterpaaren, klingen unbritisch wie keine andere Band von der Insel. Was auch Vorteile bringt. Soeben waren sie Vorband bei der Europatournee von Neil Young: eine ideale Möglichkeit, ihr viertes Album „Alias“ live zu präsentieren. Noch nie war ihr Sound so vielfältig: von West-Coast-Rock über Southern Soul bis zum Krypto-Disco-Schleicher „E.N.D.“. „Die Pause von vier Jahren hat uns gutgetan“, resümiert Stodart, der in der Zwischenzeit Vater wurde: „Ich habe gespürt, dass wir jetzt das stärkste Album unserer Bandgeschichte machen müssen.“

Tränen müssen jedenfalls fließen

Tatsächlich ist „Alias“ ist kraftvoller und bunter als der Vorgänger „The Runaway“. Diesen hatten die Magic Numbers auf der Suche nach „some Englishness“ mit Robert Kirby aufgenommen. Der durch seine Arbeiten mit dem legendären, früh verstorbenen Folksänger Nick Drake selbst zur Legende gewordene Arrangeur starb kurz nach den Aufnahmen. „Kirby war wie ein fünftes Bandmitglied“, sagt Stodart stolz und erinnert sich: „Als ich ihm ,The Pulse‘ vorspielte, kamen ihm die Tränen. Über sein Streicherarrangement für diesen Song meinte er, es sei das Beste, das er je zustande gebracht hat.“

Trotz hoher Güte kam das stille „The Runaway“ nicht in die Charts. Also versuchten es die Magic Numbers wieder mit muskulöseren Klängen. Selbst Balladen wie das zart pulsierende „Thought I Wasn't Ready“ klingen amerikanisch, erinnern an Motown-Soul, aber auch an Burt Bacharach. Doch im Gegensatz zu Bacharach kann Stodart auch mit Misstönen gut leben: „Sie machen Feeling erst authentisch. Das Streben nach Perfektion kann ja leicht ins Destruktive abgleiten.“ Sein exzessives Bemühen um hochtoupierte musikalische Dramaturgien ist ihm manchmal selbst unheimlich. „Man steigert sich in nerdige Details rein und will zugleich so klingen, als wäre alles keine Anstrengung. Das ist schon ein bisserl daneben.“

Am leichtesten fielen ihm die Lieder, in denen sich Wehmut und Überschwang die Waage halten. „Ich liebe Melancholie, sie spielt selbst in meinen glücklichsten Momenten eine Rolle.“ Tränen müssen jedenfalls fließen. „Erst heute spielte ich mit meinem Sohn, sah ihn an und fing an, vor Glück zu weinen. Auch Musik muss ergreifen, zu Tränen rühren, sonst ist sie nicht viel wert.“

Da überraschte es nicht, dass ein Stück „Roy Orbison“ heißt. Dessen Protagonist versucht sich mit der rationalen Formel „I came in alone and I'll die alone“ der Sogkraft einer neuen Liebe zu widersetzen. Bald setzt Zweifel ein: „Am I just running scared, with Roy Orbison still ringing in my ears?“ Stodart schwärmt von der Traurigkeit in Orbisons Songs: „Sein Vibrato ist einmalig. Und diese emotionale Tiefe! Diese Verletzlichkeit! Niemand hat so gesungen wie er.“

Stodart selbst ist ein Zauberer am Mikrofon: Sein beseelter Gesang und die kühnen Strategien, mit denen die Magic Numbers Moll und Lärm vermählen, machen sie zu den wohl attraktivsten Modernitätsverweigerern im heutigen Pop. Die Vergangenheit ist für sie nicht vergangen. In „Wake Up“ drückt Stodart dieses Gefühl in einer schönen Zeile aus: „Let's pretend that life never happened and the universe is still wide open.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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