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Reeperbahn Festival 2014: So hitzig klingen Maschinen

Griff nach den Sternen: Der Brite Kwabs möchte von der Soul-Hoffnung zum Star werden
Griff nach den Sternen: Der Brite Kwabs möchte von der Soul-Hoffnung zum Star werdenNina Zimmermann
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Eindrücke vom Konzertmarathon auf der Reeperbahn: Bilderbuch zeigten, was Sache ist. East India Youth gab dem Laptop-Konzert Sinn. Und Kwabs wurde dem Hype gerecht.

Als in den Neunzigerjahren erstmals Laptop-Musiker die Konzertbühnen bevölkerten, mussten sie einen Scherz über sich ergehen lassen: Ihre konzentrierten Blicke auf den Bildschirm würden einzig ihren E-Mails gelten. William Doyle alias East India Youth hätte sich das bei seinem Auftritt im Hamburger Club Molotow nicht leisten können. Nur eine Glasfront trennte die Bühne von den Besuchermassen der Reeperbahn. Zudem weiß er, dass es dramaturgisch mehr braucht als das Knöpfchendrehen, mit dem er sein Konzert begann. Vor allem bei einem Club-Festival, bei dem die Besucher ungezwungen von Bühne zu Bühne flanieren.

Doyle zog sie in seinen Bann, als er bei „Dripping Down“, dem zweiten Stück, zum Mikrofon griff: „You make me movin“, sang er mit glockenheller Stimme, zu schwelgerischen, vehement anschwellenden Synth- Klängen. Und er bewegte: bald emotional mit Songs wie dem großen „Looking for someone“, bald physisch mit instrumentalen Dancefloor-Stücken. Deren Sog verstärkte er an der Bassgitarre, die er wild bediente. Der Schweiß des Briten im eng geschnittenen Anzug spritzte auf seinen Gerätepark. Das wäre bei der ersten Generation an Laptop-Musikern undenkbar gewesen. Sein ausgezeichnetes Debütalbum „Total Strife Forever“ ist für den renommierten Mercury Prize nominiert. Völlig zu Recht, wie man nach diesem fantastischen Auftritt voll beseelter Euphorie festhalten kann.

300 Bands spielten rund um die Reeperbahn

Es sind Newcomer und aufstrebende Acts wie East India Youth, auf die sich das Reeperbahn Festival spezialisiert hat. Rund 300 Bands traten vergangenes Wochenende in den Clubs, Theatern und Bars rund um die Reeperbahn auf. Nicht wenige wirkten wie das Echo eines aktuellen Erfolgsmodells. Im Fall von Jack Garratt war dies zunächst der dunkle Maschinen-Soul seines Landsmanns James Blake, vor allem wenn tiefe Dubstep-Bässe seine Songs durchdrangen. Doch Garrat ist stärker im traditionellen Songwriting verankert, überwältigte weniger mit Sound als mit direkten Emotionen.

(c) Nina Zimmermann

Die Wiener Bilderbuch deuteten die Idee des Showcase-Festival auf ihre eigene, charmante Weise: „Wir zeigen euch jetzt, was der Case ist, was Sache ist“, verkündete Sänger Maurice Ernst. Grinste schelmisch. Und entfesselte mit seinen Kollegen den Hit „Maschin“, der auch in Hamburg begeistert begrüßt wurde. Bilderbuch zeigten sich in Bestform, spielten ihre groovenden Stücke auf den Punkt, stürmten bei den rockigen Songs. Und zauberten vielen im gut gefüllten Club Grünspan ein Lächeln ins Gesicht.

Dass die aktuelle Welle an synthielastigem Dream-Pop nicht abebbt, davon zeugten mehrere Bands im Programm. Ballet School aus Berlin stachen hervor, weil sie nicht nur die richtigen Stimmungsknöpfe drückten, sondern auch Druck machten: dank der charismatischen Sängerin Rosie Blair, die sich nicht hinter all den geschichteten Sounds versteckte. Die Band gastiert demnächst beim Waves Festival in Wien. Ebenfalls dort zu sehen ist die britische Soul-Hoffnung Kwabs. Im Mojo Club tat der Sänger alles, um dem Hype auf der Insel gerecht zu werden. Seine extraelastischen Hüften ruhten kaum, er flirtete mit dem Publikum, gestikulierte wild. Ja, er hat Entertainer-Qualitäten. Aber vor allem hat er eine große Stimme. Begleitet von einer dreiköpfigen Band, kippte sein voluminöser Bariton oft ins Falsett. Bislang hat der Musiker mit Wurzeln in Ghana zwei EPs mit seinem Mix aus Soul, R'n'B und UK-Bassmusik veröffentlicht. Live wichen deren unterkühlte Maschinenklänge bisweilen hitzigen Grooves. Ein starker Auftritt, der Lust auf mehr machte. Man wird Kwabs an seinem Debüt messen müssen.

Hozier: Zuviel Kraft im YouTube-Hit

Dem irischen Singer-Songwriter Hozier reichte ein Song, um international am Radar aufzutauchen. In „Take me to church“, seinem Youtube-Hit, der ihn bis in die David Letterman-Show führte, legte er in der Großen Freiheit 36 aber zu viel Kraft. Als wollte er auf Nummer sicher gehen, auch wirklich jeden zu überzeugen. Blues und Soul sind ihm Vehikel für bisweilen hymnenhafte Songs. Leider fielen diese oft zu stromlinienförmig, zu glatt aus. Man muss kein Prophet sein: der Mann dürfte dennoch Erfolg haben.

Public Service Broadcast durchstöbern für ihren vom Krautrock-Puls getriebenen Rock britische Film-Archive – und integrieren Sprach- und Ton-Samples. Live gewinnt ihre Musik durch die visuelle Komponente: Hinter dem Duo wurde etwa ein Film über eine Mount Everest-Expedition projiziert. Je höher die Bergsteiger kamen, umso drängender wurde der Song. Die Spannung löste sich bei der letzten Einstellung: der Berg von oben. Es passte, dass die Band am höchst gelegenen Ort des Festivals spielte: im fünften Stock eine revitalisierten Flakturms.

Compliance Hinweis: Der Autor war auf Einladung von Hamburg Marketing beim Reeperbahn Festival.

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