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Sven Regener: „Die Leute in unseren Liedern sind immer naiv“

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„Als Sänger macht mir das Neurotische sehr viel Spaß“, sagt Sven Regener. Auch auf „Lieblingsfarben und Tiere“, dem neuen Album seiner Element of Crime. Mit der „Presse“ sprach er über Staunen, Liköre und Österreicher-Liebe.

Nein, erwachsen sind sie nicht geworden. In ihrem neuen Video kurven Sven Regener und seine Kollegen von Element of Crime in als Schwäne verkleideten Tretbooten über die leicht gekräuselten Wasser des Wannsees. Die Haare strubbelig, die Garderobe so akkurat, als hätte sie die Mama zusammengestellt. So sieht sie aus, die Boheme, die in die Jahre gekommen ist. Leicht resignativ, aber doch zu manchem Schalk aufgelegt.

Als Musiker wähnen sich Element of Crime, 1985 in Berlin gegründet, längst in den sicheren Zonen, die nur jahrzehntelange Erfahrung schenkt. Sie verlassen sich weiter auf Regeners bewährte Elegie und die zarten Hände von Gitarrist Jakob Ilja und Bassist Dave Young. Allerdings: „Man will neue Lieder haben, die alten sind aufgebraucht“, posaunt Sven Regener im Gespräch mit der „Presse“. Und: „Wo ein neuer Song ist, da sind viele.“ Im vorliegenden Fall, dem Album „Lieblingsfarben und Tiere“, sind es genau zehn Songs: jeder eine behutsam gestaltete Vignette des urbanen Lebens abseits des Mainstreams. Sehnsuchtsvoll, ein wenig verloren taumeln die Protagonisten durch eine Welt, die sie gar nicht mehr vollständig deuten wollen. „Bei dieser Platte ist mir aufgefallen“, sagt Regener,
„welch große Rolle das Staunen bei uns spielt.“

Bleibt man als Künstler am besten ein Tor, der empfindungsstark an die Begrenzungen prallt, die die Realität aufstellt? „Als Künstler vielleicht nicht, aber als Songprotagonist“, schränkt Regener ein. „Die Leute in unseren Liedern, die da über ihr Leben erzählen, sind immer naiv.“ So herrscht in „Am Morgen Danach“ totales Staunen darüber, was passiert ist: Ein Mann wacht nach einem vermeintlichen One-Night-Stand auf, und da liegt sie noch, die Frau. Regener singt fast lapidar zur gestopften Trompete und wimmernden Gitarrenakkorden: „Am Morgen danach waren wir beide noch da.“ Der Hörer atmet den Geruch von tausend Vergeblichkeiten und hat doch die Hoffnung, dass es Zukunft geben könnte für die beiden.
Was ist das überhaupt für ein seltsamer Albumtitel? „Wichtig war, dass der Titel naiv und kindlich klingt.“ Apropos Farben: Hat eine Kombo, die von jeher dem Alkohol Zuneigung entgegengebracht hat, Lieblingslikörfarben? „Ich nicht“, sagt Regener, „Anfang der Achtziger war es modern, ,Grüne Wiese‘ zu trinken. Das war ein Cocktail aus Curaçao und Orangensaft: grauenhaft! Grün ist für Alkohol eine schlechte Farbe.“

Gitarrist Jakob Ilja bekennt sich zum Klaren. Beide setzen dieser Tage auf Qualität. Ihr Credo: „Dem alternden Körper muss qualitätsvollerer Alkohol zugeführt werden.“ Der geschundene Leib soll ja noch ein paar Runden in der Arena der Liebe schaffen. Liebeslieder setzen schließlich Erfahrung voraus. So auch das Highlight „Rette mich (vor mir selber)“, das mit Rätselhaftigkeiten aufwartet. Der Satz „Heimatlos und viel zu Hause, unterbeschäftigt und viel zu viel zu tun“ wurde von Hazy Osterwald, dem Schweizer Star der frühen Sechziger, angeregt. Glaubt Regener wenigstens. „Ich bilde mir ein, eine Dokumentation über ihn gesehen zu haben, in der er ,Heimatlos und keine Heimat, arbeitslos und nichts zu tun‘ gesungen hat. Aber vielleicht stimmt diese Erinnerung gar nicht, und ich stehe nur auf sinnlose Tautologien . . .“

„Siehst du die Sonne so rot wie ein Erdbeermarmeladenbrot“, auch das singt er in diesem Lied: Regener liebt krude Metaphern. „Als Sänger macht mir das Neurotische sehr viel Spaß.“ Einst sagte er über Musiker, sie könnten „blöd sein wie Stulle“. Gilt das noch? „Intelligenz ist kein Kriterium in der Kunst. Das war die schöne Ansage von Uwe Bauer, unserem ersten Drummer. Er sagte immer ,Schlagzeuger müssen blöd sein wie Stulle, Hauptsache, es geht ab wie Sau.‘“

„Berlin ist derzeit nicht zu schlagen“

Die neuen Wellen der internationalen Boheme in Berlin beobachten Element of Crime aus sicherer Entfernung. Regener, der die Westberliner Szene der Achtziger ja in etlichen Romanen („Herr Lehmann“ usw.) beschrieben hat, erinnert sich: „Ich war auch mal so'n Typ der aus Bremen kam und in Kreuzberg herumtrashen wollte. Berlin ist derzeit nicht zu schlagen, weil es dieses Partyding knüppelhart durchzieht. Wenn man sonst keine Industrie hat, dann bleibt halt die Partyindustrie.“

Das Sehnsuchtsland von Element Of Crime heißt freilich Österreich. „Bei euch gibt es nichts Furchtbares. Anfang der Neunzigerjahre machten wir mal einen Weiße-Socken-Kontest in einem Nachtcafé in Wien. Ergebnis: 30 Prozent trugen sie. Manche mussten erst nachschauen.“ Obwohl der weiße Socken heute schwer auf dem Rückzug ist, die Liebe der Wahlberliner zu Wien bleibt aufrecht. „Nein, nein“ sagt Regener jauchzend, „die Deutschen sind nicht aufzuhalten in ihrer unglaublichen Österreicher-Liebe.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2014)

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