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Nach dem Toast besingt er "Hundi"

(c) Erwin Wodicka
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Alexander Marcus' Karriere begann als Internetphänomen. Jetzt legt er mit "Kristall" sein viertes Electro-Lore-Album vor. "Die Presse" sprach mit dem medienscheuen Künstler.

Höhere Mächte warfen mir einen Rettungsanker zu“, beschreibt Felix Rennefeld den Wendepunkt seiner musikalischen Karriere. Gerade als er als House-Produzent in Berlin so richtig in der kreativen Sackgasse war, blinkte 2008 das Wort „Electro-Lore“ in Leuchtbuchstaben vor seinem inneren Auge auf. Seither werkelt er unter dem Signet Alexander Marcus an der idealen Mischung aus Elektro und Folklore, aus Techno und Schlager. Dabei verwischt er die Grenzen zwischen Schwachsinn und tieferer Bedeutung kunstvoll. „Es ist ja wirklich schlimm, aber könntest du trotzdem ,Hundi‘ spielen?“, leiten Fans dieser Tage ihren Wunsch an den DJ schon mit einer Entschuldigung ein.

„Hundi“, die erste Single des eben erschienenen Albums „Kristall“, ist wirklich gewagt. Marcus überlässt wesentliche Teile des Leadgesangs einem melodisch bellenden Hündchen. Das elektronische Blubbern im Hintergrund ist zweifelsohne auf internationalem Level, bloß das kläffende Hündchen, Kennzeichen des spießigen Kleinbürgers deutscher Nation, verstörend bis ins Mark.

„Hier steh ich und kann nicht anders“

Kritik ist Alexander Marcus gewöhnt. Das Feuilleton war von Beginn ausgesucht unfreundlich zu ihm. Er sei ein „Schlagerfuzzi 2.0“, dem „nichts peinlich sei, weil ihm nichts heilig ist“. Sein Publikum bestünde aus nichts als „Großraumdisco-Prekariat“ und ein paar verwirrten Studenten. „Frechheit“, kommentiert Marcus solche Schmähung. „Meine Fans sind jünger, aber keinesfalls unterbelichtet.“ Auf seinem neuen Album wehrt er sich gegen Anwürfe schon im Voraus. Im Bonustrack „Reise zum Kristall“ beschreibt er, wohl um sich Interviews zu ersparen, den Schaffensprozess in möglichst verschlissenen Sprachbildern. Und im Song „Ich bin ich“ nimmt er als prominenten Fürsprecher gar Kirchenmann Martin Luther in den Dienst. „Du bist allergisch gegen meine letzten Alben? Du kritisierst die Familie, die ich halte? Du kritisierest mich durch und durch“, singt er sein Leid. Dann zitiert er mit elektronisch bizarr modulierter Stimme den Reformator: „Hier steh ich und kann nicht anders!“

Ja, Hybris ist prominenter Teil der Persönlichkeit von Alexander Marcus, der mangelndes Charisma in erstaunliche Triumphe verwandeln kann. Die Karriere startete er zunächst auf der Plattform YouTube. In seinen Videos fielen vor allem sein irres Lachen und seine Vorliebe für rosa Beinkleider auf. Rasch war aber zu erkennen, dass Marcus formidable Dancetracks fertigt, die er allerdings ungeniert in den Dienst seines ungezügelten Infantilismus stellt. „Das Netz war meine Chance. Mit meinem Konzept Electro-Lore hätte ich nie auf normalen Wegen einen Plattenvertrag bekommen. Es wurde für die Firmen erst interessant, als ich mir selbst einen Hype kreiert hatte.“ Und da wollten plötzlich alle anbeißen.

Den Zuschlag erhielt das 1996 gegründete Hamburger Dancelabel Kontor, das u.a. mit Scooter erfolgreich ist. Marcus' bislang erfolgreichster Track war sein „Hawaii Toast Song“, der über sieben Millionen Klicks generiert hat. Den sangen dann auch jene gern mit, die sonst auf die champagnerschweren Chansons einer Hildegard Knef oder die knusprigen Klassenkampfsongs von Ton Steine Scherben stehen. So ein Ohrwurm überwindet sämtliche Milieu- und Geschmacksgrenzen. Die aufreizende Weise, mit der Marcus banale Zeilen wie „Toast Hawaii schmeckt allen gut, was ist mit dir?“ sang, erinnerte stark an dessen einstige Vorbilder Michael Jackson und Prince in den Achtzigerjahren. Egal, was die damals sangen, alles klang erotisch. Warum also nicht heutzutage den Sexappeal von Weißbrot loben?

Über die vielen Möglichkeiten, einen geglückten Popsong zu erschaffen, sinniert Alexander Marcus oft und gern. „Das Wichtigste ist, dass man sich nach Hören des Liedes besser fühlt. Ein guter Song sorgt für Euphorie.“ Getreu dieser Devise hat er in seinem vierten Album „Kristall“ wieder elf Stück davon gefertigt, die funktionieren wie Vexierbilder. Hört man nur auf die Musik, dann hört man State-of-the-Art-Retro-Disco à la Daft Punk, konzentriert man sich aber auf die Texte, wähnt man sich in einem schlüpfrig-verschämten Bravo-Heft von 1973.

Die Ironie ist häufig eine unterstellte

Ist einmal bekannt, dass man lustig sein kann, dann wird alles zum Zeichen, das dechiffriert werden will. Die viel gelobte Ironie von Marcus ist häufig eine unterstellte. „Vieles meine ich ernst, trotzdem wird es als Ironie aufgefasst“, klagt er. Die Deutungswut seiner Fans akzeptierte er lang nur widerwillig. Jetzt scheint er sich in sein Schicksal gefügt zu haben. „Nein, nein, es gibt kein Zurück mehr“, erkennt er in einem ruhigen Moment seiner neuen Liedersammlung. Man ahnt, dass zum Trost schon ein Hawaii-Toast in der Mikrowelle brutzelt. „Was ist mit dir?“

ZUR PERSON

Alexander Marcus ist der Nom de Plume, den sich der deutsche House-Produzent Felix Rennefeld (Jahrgang 1972) zugelegt hat. Mit seinem Electro-Lore genannten Konzept einer Fusion aus elektronischen Dancebeats und leicht absurden Schlagertexten kam der Erfolg. Zunächst im Netz, dann im wirklichen Leben. Sein soeben erschienenes Album „Kristall“ ist sein viertes Album beim Label Kontor. 2012 kam sein Film „Glanz & Gloria“ in die Kinos. Darüber hinaus punktet Marcus mit skurrilen Videos. Zu seinen Hits zählen „Hawaii Toast Song“, „Disco La Cola“ und „Hundi“. Details zu seiner echten Biografie gibt er ungern preis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2014)

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