Pop

Bob Dylan: Purer Soul und gemurmeltes Glück

(c) AP (Jeff Zelevansky)
  • Drucken

Ein famoser Dylan rührte in der Stadthalle. Revolution lag in der Luft.

"Das Ich ist ein anderer", formulierte der Poet und Waffenhändler Arthur Rimbaud einst. Niemand hat den permanenten Rollenwechsel konsequenter umgesetzt als Dylan. Mit staubigen Anzügen, aber sauberen Fingernägeln wurde er zum neuzeitlichen Tramp. Er vereinte Renegatentum und Ironie, lebte die lockere Moral des fahrenden Minstrel genauso wie den strengen Sittenkodex des christlichen Wanderpredigers. Er wurde zum Helden der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung wie zur Ikone der Hippies und der aufbegehrenden Studenten.

Hauptsache: Bewegung. In Martin Scorseses filmischem Portrait No Direction Home sagt ein früher Weggefährte: „He was a shape shifter. It wasn't necessary for him to be a definite person.“ So wie Dylan auf der Wiener Bühne auf- und abging, um die Mitmusiker bei den Soli zu inspizieren, wirkte er wie ein betagter Eisenbahnschaffner aus den Südstaaten, der sich in der Wahl des Hutes geirrt hat. Rote Seitennähte an den Hosen, imposante Geheimtaschen im Jackett, aber als schönste Zier beeindruckte dieses raffiniert musikalisierte Husten und Röcheln. Eigentlich singt er keine Worte, sondern Silben, denen er in jedem Augenblick neuen emotionalen Drall gibt. Mal eher harsch, mal überraschend liebevoll.

Die Zärtlichkeit, mit der er seine Schätze ins Mikro würgte, rührte sein vielfältiges Publikum zutiefst. Alle waren gekommen, den aktuellen Herzensergießungen dieses philosophierenden Gauklers zu lauschen: die Professoren und Direktoren, die Hackler und Dichter, die Boxer und Exkicker – alle, die noch über brennende Herzen verfügen.

Zum Auftakt: Züchtigung mit Nonsens

Mit dem unsichtbarem Zwirn seiner Liedkunst nähte Dylan dies Gewusel höchst heterogener Seelen zusammen. Zum Auftakt führte er den groben Faden, mit „Cat's In The Well“, jener Art von Nonsenslied, mit der er gerne züchtigt. Erster Jubel erklang dann zur Zeile „My love she speaks like silence, without ideals or violence“: Sie eröffnet das Liebeslied „Love Minus Zero“, wo sich die Geliebte am Ende als Rabe mit gebrochenem Flügel am Fensterbrett findet.

Dylan und die Frauen: immer prekär. Niemand konnte zärtlichere Verse schreiben, sich im nächsten Augenblick brüsk abwenden. An dem Abend kam die Liebe ohne zynische Zwischentöne aus. Im schönen „Tangled Up In Blue“ ging Dylan auf ein Bier in die Topless Bar, begegnete der Liebe in Gestalt einer üppigen Dame, führte sie in eine Kellerwohnung: Die war zwar nur spärlich möbliert, dafür lag Revolution in der Luft.

Die funkelte auch im Antikriegslied „John Brown“, vor allem aber in einer apokalyptischen Version von „Masters Of War“, Dylans Anklage an die Rüstungsindustrie von 1963. Er stellte die Frage, die man allen Mitläufern stellen muss: „Is your money that good, will it buy you forgiveness?“ Mit unheimlicher Stimme urteilte er: „I think you will find, when your death takes its toll, all the money you made, will never buy back your soul!“

Dylan unterstützt nun Barack Obama

Dylan unterstützt neuerdings offen Barack Obama. „Er wird Amerika von Grund auf erneuern“, meinte er in der „Times“. Ein erstaunliches Statement für jemanden, der in keiner Phase seiner Karriere konkret politisch werden wollte. Ihm war es lieb, gegen alles zu sein, gegen ausufernden Freigeist ebenso wie gegen kecken Konservativismus. Die in der amerikanischen Gesellschaft derzeit um sich greifende Armut schmerzt Dylan. Als sich seine Kehle durch den famosen „Workingman's Blues #2“ kratzte, diesem aufrechten Zeugnis der Anteilnahme, da belebten sich seine Nüstern sichtbar.

Edel schimmernde Songperlen wie das wehe „Beyond The Horizon“ und das sentimentale „Sugar Baby“ wurden von ruppigen Knochenschepperern wie „Summer Days“ und „The Levee's Gonna Break“ gesäumt, die Dylans Liebe zum Rock'n'Roll der frühen Jahre bezeugen. „Highway 61 Revisited“ löste den Bann, riss einen Publikumsstrom Richtung Bühne. Dann gab die famose Band eine zurückhaltende, immens dramatisch inszenierte Version von „Ain't Talkin'“.

Dylan wandelt darin in einem mystischen Garten. Verletzte Blumen erzittern im Wind, kein Gärtner weit und breit. Der Mensch durchmisst die Scheinidylle, ganz auf sich allein gestellt: „Ain't talkin', just walkin' through this weary world of woe... They say prayer has the power to heal, so pray for me, mother.“ Das Moll flutete düster, die Musiker waren nur von unten beleuchtet, Dylans Gesang ward purer Soul.

Zugaben: ein donnerndes „Thunder On The Mountain“, ein zorniges „All Along The Watchtower“. Dann begab sich der Meister ins Schlusstableau. sein gemurmeltes „Thank you, friends“ zeigte, dass das Glück nicht konsequent „Beyond The Horizon“ ist. An diesem Abend war es ganz, ganz nah.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.