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Der alte Meister der letzten Lieder: Leonard Cohen

(c) AP (Aaron Harris)
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Nach 15 Jahren Pause tritt der große Singer/Songwriter wieder auf. Seine Europatournee begann er mit drei Abenden in Dublin: Songs von „Suzanne“ bis „Closing Time“, Perfektion und Rührung.

Als ich das letzte Mal auf die Bühnen trat“, sagt der alte Sänger, den Hut in der Hand, „da war ich 60: a kid with crazy dreams.“ Heute ist Leonard Cohen 73 Jahre alt, kein kid mehr, ein gutes Stück weiter in seiner lebenslangen Prozession vom weisen Lebemann zum lebenden Weisen. Und er ist wieder auf Tournee, vielleicht auf seiner letzten, aber ist Cohen nicht jede Tour angegangen, als könnte es seine letzte sein?

Jedes Lied, als könnte es sein letztes sein? I shall speak no more / then my voice be still / as it was before, so hat er das Nachher einst, 1984, formuliert. Dann schweigt der Sänger, der Chor übernimmt: Das war nun eine der vielen Zugaben, der vielen letzten Lieder Leonard Cohens in Dublin.

Denn die ersten drei Konzerte seiner Europatour sang er in der irischen Hauptstadt, wo sich, so Cohen, „in jedem Schlafzimmer ein Genie“ findet, und zwar auf den „Grounds of Royal Hospital Kilmainham“, einem Ort des gepflegten Grün, vor insgesamt 40.000 Zusehern. Von denen ganz offensichtlich ein Gutteil seine Lieder im Herzen und auf der Zunge trägt: Diese Dubliner hätten Cohen gefeiert, und wenn er als drunk in a midnight choir gekommen wäre, ohne Proben, frei und achtlos.

Himmlische Barmusik

Aber er kam gar nicht achtlos, sondern höchst sorgfältig, mit einer genauso sorgfältigen Band, vor der Cohen immer wieder völlig zu Recht in einer schönen Geste tief den Hut zog: Sie spielte das, was sich Gläubige wohl erwarten dürfen, wenn sie in in einer Bar namens Himmel angekommen sind: himmlische Barmusik, in der sogar die Mandoline, sonst ein Instrument der Anbiederung, gesegnet klingt. Und vor allem höchst bewusst eingesetzt.

Ganz anders als ein anderer großer Alter des Songs, als der unentwegt durch die Länder streunende, seine eigenen Stücke ständig neu erfindende Bob Dylan, überlässt Cohen nichts dem Zufall: Die Rührung, die er unweigerlich mit sich bringt, ist auch gut arrangiert. Das spricht nicht gegen die Rührung und nicht gegen ihn. Er weiß, was er ist und was er kann: I was born like this, I had no choice, I was born with the gift of a golden voice, für diese Zeilen in „Tower Of Song“ bedankte ihn herzlicher Jubel.

Wohl auch dafür, dass er wieder in den Turm des Songs zurückgekehrt ist. Was hat er inzwischen getan? Viele Antidepressiva genommen, resümierte Cohen auf der Bühne, „sich mit vielen Religionen und Philosophien eingelassen“ (tatsächlich hat er, im jüdischen Glauben aufgewachsen und immer wieder zu diesem zurückgekehrt, u.a. Jahre in einem buddhistischen Kloster verbracht), aber dann habe die Wahrhaftigkeit gewonnen: Truthfulness came through.

Am Schluss von „Tower Of Song“ (in dem seine golden voice ja auch von 27 angels from the great beyond begleitet wird) stand er da, gesenkten Hauptes, den Hut in der Hand, und hörte den Chorsängerinnen zu, lächelte schließlich: „Ich habe den Schlüssel zu den Mysterien aller Dinge gesucht, und hier ist er: Doo dum dum...“

Das Licht auf der „Boogie Street“

Das mag an einen ergrauten Graffiti-Spruch erinnern, ist aber gar nicht so unernst gemeint. In Cohens Welt liegt das Spirituelle mitten im scheinbar Trivialen, der Sinn in der Sinnlichkeit, die Crown of Light findet sich auf der Boogie Street. Sein „Hallelujah“ sei kalt und gebrochen, heißt es im gleichnamigen Lied, das er in Dublin vor Inbrunst zitternd sang: Doch durch die Brüche kommt das Licht, kommentiert er das selbst in „Anthem“: Ring your bells that still can ring, forget your perfect offering!

Wen immer er hier anspricht, die ersten (und letzten) Ansprechpartner in Cohens Songs sind immer die Geliebten, die gegenwärtigen, die verflossenen und auch die soeben verfließenden: Mit „Dance Me To The End Of Love“, zwischen nackter Verzweiflung und verzweifelter Einsicht, arrangiert für die erwähnte himmlische Bar (inklusive Flötensolo, bei Cohen geht sogar das durch) begann das Konzert; im dritten Song hieß es milder: „There Ain't No Cure For Love“; und dann schon folgte der erste reine Bekenntnissong: „Bird On A Wire“, von Cohen mit 34 geschrieben, wohl weil er nicht warten wollte, bis er 68 wurde. Um Verzeihung bat er heute wie damals, und sogar die wunderbare Begründung fürs Lügen (I thought that a lover has to be some kind of liar, too) wirkt nach wie vor. Und belegt, einmal ganz prosaisch gesehen, gut, dass zu einem wirklich guten Herzensbrecher ein wenig Selbstironie gehört wie die Prise Salz in den Kuchen. „I'm Your Man“ funktioniert ähnlich.

Weitere Höhepunkte? Ein scharfes „Democracy (Is Coming To The USA)“, innig verflochtene Stimmen bei „Who By Fire“, das andächtig rezitierte „A Thousand Kisses Deep“. Das wienerische „Take This Waltz“. „Suzanne“ sowieso. Die besonders ausdrücklich letzten Lieder, darunter natürlich ein wildes „Closing Time“, dann im langen Zugabenblock. Schließlich der letzte Gruß: „At the risk of offending an atheist: God bless you.“

Welcher Atheist könnte dem widerstehen?

COHEN: LIVE UND AUF CD

Die Europatournee geht weiter, u.a. in Amsterdam (12.7.), beim „Stimmen“-Fest in Lörrach im Schwarzwald (25.7.), Rom (28.7.) und Berlin (30.8.). Österreich-Termin ist bisher keiner geplant.

„Dear Heather“, Cohens schönes letztes Album, aus dem er live seltsamerweise kein Lied spielt, ist 2004 erschienen. Alle seine Alben sind noch im Handel, eine 5-CD-Box „The Collection“ (aus den Alben „Songs Of“, „Various Positions“, „I'm Your Man“, „The Future“, „Ten New Songs“, alle neu abgemischt) erscheint demnächst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2008)

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