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Salzburger Festival: Als Lissabon in Salzburg war

Mariza
Mariza(c) EPA (Miguel A. Lopes)
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Sängerin Mariza sorgte für einen Höhepunkt des Salzburger Festivals. Till Brönner zeigte, wie klug „Smooth Jazz“ sein kann. Dianne Reeves schmachtete.

Till Brönner pflegt viele undeutsche Jazztugenden. Trotz aller Cleverness ist er mehr dem Gefühl als dem Verstand zugeneigt. Also spielt er steinalte Hardbop-Melodielinien genauso wie weiche Daunensounds, für die ihn viele ins Lifestyle-Ambient-Sound-Fegefeuer verbannen – und auf ihn das hässliche S-Wort münzen. Es bedeutet Smooth Jazz.

In den USA nennt sich dieses (milden R&B und schläfrige Jazzballade vereinende) Genre „Quiet Storm“, nach einem Song von Smokey Robinson. Das ist der Eleganz von Genregrößen wie Boney James und Rick Braun angemessen. Auch Brönner ist längst ein großer Player in diesem Metier, das das Sedierende und das ewig Sehnsüchtige in luxuriöse Sounds packt. Solch sanften Duktus versteht selbst manch großer Jazzer nicht. Etwa US-Saxofonist Sonny Rollins. Über seinen Ex-Sideman, den Trompeter Freddie Hubbard, der in den Siebzigerjahren den Smooth Jazz vorwegnahm, urteilte er harsch: „Freddie hat sein Potenzial nicht ausgeschöpft.“ Das ist so ungerecht wie weit verbreitet: Stilistische Vielseitigkeit wird zu oft mit Charakterlosigkeit zusammengedacht.

Kulinarischer Zugang zum Jazz

Wie Hubbard provoziert auch Brönner maliziösen Widerspruch seitens orthodoxer Jazzhörer. Die waren beim Salzburger Jazzherbst in der Minderzahl, steht doch dieses Festival für einen genussvoll-kulinarischen Zugang zum Jazz. So wurde Brönners Konzert zur Weihestunde des Weichen. Als Opener wählte er Wes Montgomerys verschlafenes „Bumpin'“, das nahtlos in den Schleicher „42nd & 6th“ überging. Erstes Highlight: die abenteuerlich ausfransende Interpretation von Hubbards „Little Sunflower“, das so unterschiedliche Gesangsstilisten wie Leon Thomas und Al Jarreau letztgültig interpretiert haben. Das ist ein Prädikat, das man Brönner für seine Sangesleistungen nie verleihen würde. Doch sein blasses Stimmchen evoziert köstliche Melancholie, etwa in Leonard Cohens „In My Secret Life“.

Überhaupt ist Brönner ein Deutscher, auf den innig gepflegte Vorurteile nicht passen. Weder in Kunst noch in Leben dieses ehemaligen Jesuitenschülers gibt es irgendwas Martialisches oder Stilloses. Sein Drang zu Verfeinerung ließ ihn zum Globetrotter werden. Sein Erfolgsalbum „Oceana“ nahm er in Los Angeles auf, das aktuelle „Rio“ in Brasilien. Auf seinen Alben singen Granden von Milton Nascimento über Annie Lennox bis Carla Bruni. Dennoch blieb er am Boden, verstrahlt inmitten seiner prachtvollen Sounds eine Aura der Askese. Die Sehnsucht eines Chet Baker vermittelt er wie die Fröhlichkeit der Samba. Besonders schön: „Distant Episode“ und „Rising Star“, dramatische Balladen, in denen sich Brönners Größe in Zurücknahme zeigte.

Von dieser hielt Jazzsängerin Dianne Reeves wenig bis nichts. Eingepackt in ein oranges Batikmusterkleid, lockte sie im Großen Festspielhaus mit glockenhellem Timbre in üppige Gefilde. Glucksend scattete sie das Publikum schwindelig, dann ließ sie sich in die emotionalen Rückzugsräume des Blues fallen, dann begeisterte sie mit freudig improvisierter Obama-Rhetorik und nobel geschmachteten Bossa-Nova-Songs wie Jobims „Once I Loved“. Ihre Version von Cat Stevens „Morning Has Broken“ langweilte etwas. Aber ein wonnevolles „Windmills Of Your Mind“ und die edle Schlussnummer, McCoy Tyners „You Taught My Heart To Sing“, ließen die schalen Momente rasch vergessen.

Doch alle anderen Konzerte dieses Jazzherbsts überstrahlte die portugiesische Fado-Sängerin Mariza. Die sich höchst artifiziell gebärdende falsche Blondine balancierte mit ganz echten Gefühlen. Schwere, dunkle Ketten zerrten am milchweißen Hals, gut getarnte Plateauabsätze wuchteten die Kleinwüchsige auf Mikrofonhöhe. Mit subtilster Gestikulation unterstrich sie das hohe Drama ihrer Lieder. Mit immer wieder erstickender, zuweilen überkippender Stimme lud sie in die geheimsten Winkel ihres Herzens. Mit raffinierter Stop-And-Go-Dramaturgie feierte sie ihr geliebtes „Lisboa“, sang in aufwühlenden Liedern wie „Vozes Do Mar“ ihr Lob auf die „Saudade“, diese unbestimmte Sehnsucht, die kaum je zum Stillstand kommt und so was die Grundverfasstheit der portugiesischen Seele darstellt.

Mariza, wie eine verwunschene Prinzessin wirkend, herzte viele schöne Lieder ihres aktuellen Albums „Terra“, beglückte mit Älterem wie „Mio Fado Mio“ und „Prima Vera“. Als Zugabe überführte sie all die süße Melancholie in geheimnisvolles Lächeln: Charlie Chaplins Evergreen „Smile“ griff einmal mehr. In jeglicher existenziellen Krise – das wäre doch ein Motto für 2009!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2008)

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