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FM4-Geburtstag: Arbeiterklasse-Jungs mit Waschzwang

FRANZ FERDINAND in Hongkong
FRANZ FERDINAND in Hongkong(c) AP (KIN CHEUNG)
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FM4 zelebrierte seinen 14. Geburtstag. Unter den Gratulanten: Die Schotten Franz Ferdinand, die ihr neues, bislang bestes Album "Tonight" erstmals live vorstellten.

Mögen ihre Stirnhaare noch so strubbelig nasenwärts hängen, die Schädel bleiben von scharfen Scheiteln dominiert. Und wenn sie ihre dünnen Beinchen zu den trockenen Beats schlackern lassen, dann stecken diese in engen Hosen mit Bügelfalten, die schärfer nicht plättbar sind. Ähnlich konsequente Adrettheit tat sich auch im vorzugsschülerhaften Deklinieren klassischer Gitarrenriffs aus Punk und New Wave kund. Franz Ferdinands Art-House-Punk watete auf den ersten beiden Alben im Schlamm der Tradition, präsentierte die gehobenen Sound-Nuggets erstaunlich aseptisch. Arbeiterklassejungs mit Waschzwang? Warum nicht?

Ungeachtet solcher Eigenarten wagte sich das fidele Quartett nun für ihr drittes Album „Tonight“ in ein ausgedientes Gemeindehaus an der Peripherie von Glasgow. Gefährlich soll die Gegend gar gewesen sein. Braver, böser Genius Loci. Der spukt auch in den neuen Songs. Mit dem genialen Schachzug, ein giftiges Keyboard auf ihren Mainstream-Rock loszulassen, fanden Franz Ferdinand zu sich.

Sechs Millionen verkaufte Alben

Verdreckte Disco-Funk-Rhythmen verleihen dem nocturnen Songzyklus „Tonight“ eine Spur jener Gefährlichkeit, die einst Iggy Pops wunderbares Synthie-Punk-Album „New Values“ versprühte. Diese unverhoffte, aus der Beckengegend kommende Sinnlichkeit war, wie sich in der winterkalten Open-Air-Arena zeigte, einerseits Glücksversprechen, andererseits Quelle erstaunlicher Energien. Bei seiner Festsoiree nützte FM4, bewährte Abschussrampe für Erzeugnisse des Alternative Mainstream, den Feuerstrahl der Ferdinand'schen Rakete.

Zunächst lösten sich aus majestätischem Klangwirrsal elegant hüpfende Bassfiguren und schlanke Gitarrenriffs. Dann fiel Kapranos schneidende Stimme ins Mikro: „Oh, kiss me, lick your cigarette, then kiss me, lick your eyes and mine and then hit me.“ In Nanosekunden brannte es lichterloh in den Brustkörben der Fans. „Do you never wonder?“, wandte sich der Sänger an die Fräuleins. Dann kippte seine Stimme attraktiv: „Oh no, you girls never know how you make a boy feel.“ Das ewige Mysterium der Anziehung, die Ekstase der ersten hormonellen Euphorie setzten Franz Ferdinand höchst kulinarisch um. Selbst wenn sie in die verwinkelten Korridore zweifelnder Herzen lockten, klangen sie optimistisch. Etwa bei „The Dark of the Matinee“, einem umjubelten Rückgriff aufs erste Album. In der Folge changierten sie klug zwischen alten Hits („Take Me Out“) und ihren neuen, griffigen Songs.

Auch die Lichtmaschinen deuteten an, dass die Kombo nach wie vor den Sternen verpflichtet ist. Sechs Millionen verkaufte Alben katapultieren halt in die höchsten Sphären. Dort werden die Schotten locker weiter ihre Kreise ziehen. Mit gehaltvollen Liedern wie dem sanft pulsierenden „Send Him Away“, dem federnden Synthie-Groover „Turn It On“ und dem hintersinnigen „Bite Hard“. Letzteres lockte mit peitschenden Beats in ein lyrisches Szenario, das den Möglichkeiten religiösen Glaubens in einer vom wissenschaftlichen Denken gesteuerten Gesellschaft nachsann.

Die Stadt verbrennen

Überaus eindrucksvoll geriet das Electro-Pop-Stück „Live Alone“, das mit den Unwägbarkeiten hadert, die da kommen, wenn der Alltag das Herz der Liebe zu zerfransen beginnt. Auch jene Teile des Publikums, denen der Sinn nach Stadionchorgesang stand, kamen nicht zu kurz. „Ulysses“ bot mit „C'mon Let's Get High“ eine prägnante Losung, und auch die letzte Zugabe „This Fire“ wusste mit zündender Parole zu erwärmen. „I'm going to burn this city, if the fire in me is out of control“, beteuerte Kapranos. So herb wird's wohl nicht kommen. Schließlich ist der Exkoch ja publizierender, schottischer Gastrosoph. Wie man weiß, ist bei solch papillengesteuerten Wesen das warme Essen immer noch die idealste Form von Befriedung. Und den Rest seiner inneren Unruhe agiert Kapranos ja auf der Bühne aus. Bürger, schlaft friedlich weiter.

ZUR BAND

Im schottischen Glasgow fand sich die vierköpfige Band 2002. Sänger Alex Kapranos (Bild) gilt bereits als Stilikone, ist Muse von Hedi Slimane, Ex-Chefdesigner bei Dior Homme. Der Bandname sei tatsächlich vom österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand inspiriert, sagt die Band in Interviews, klinge aber auch einfach gut.

Alben: „Franz Ferdinand“ (2004), „You Could Have It So Much Better“ (2005), „Tonight: Franz Ferdinand“ (2009).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2009)

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