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Lady Gaga: Unser aller Monstermutter

(c) REUTERS (YORGOS KARAHALIS)
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Sie zerschlägt ihren Mythos und baut ihn gleich wieder auf: Lady Gaga beweist sich mit ihrer „ArtRave“-Show in der Wiener Stadthalle als bewussteste, beste Performerin unserer Zeit.

Die Körper beben schon, die Herzerln hüpfen schon, da ist eigentlich noch gar nicht viel passiert. Lady Starlight, eine langjährige Kollaborateurin von Lady Gaga, steht auf einer Plattform im Publikumsraum der Stadthalle und pumpt zig Beats pro Minute durch die Leiber der Wartenden. Als der Vorhang dann doch irgendwann fällt und den Blick auf ein schlichtes Bühnenbild freigibt, das entfernt an den Weltraumhafen Mos Eisley im „Krieg der Sterne“ erinnert, vibriert man immer noch nach, ist eingepeitscht auf den „ArtRave“ der Lady Gaga.


Zwölftausend sind gekommen, um der Allmutter ansichtig zu werden, mit ihr zu tanzen, zu singen, zu beten. Gleich beim Opener werden die Hände gefaltet, immerhin dreht sich der Titeltrack des dritten Albums, „Artpop“, um die Essenz der Dinge, eben um Kunst und Pop und deren Verschränkung: „We could belong together“, heißt es darin – und bald ruft Lady Gaga die Kreativkräfte Österreichs, zumindest diejenigen im Publikum, auf, alles rauszulassen, was sie in sich haben.

So wie sie selbst eben. Die Bühne ist das Medium: Weil Stefani Germanotta es satt hatte, immer nur frontal vor ihren „kleinen Monstern“, wie sie ihre Fans nennt, zu singen, schlängeln sich beim „ArtRave“ mehrere Plexiglasstege quer durch den Zuschauerraum. Einer davon kulminiert in einem Plastik-Stalagmiten, in den ihr Klavier eingelassen ist. Dort sitzt sie später und spielt ihre Ballade „Dope“, ein welttrauriges Stück und auch ein (zu) perfekter Showcase für ihre Stimme, die hier verzweifelt und donnert gleichermaßen, dabei aber auch gewaltig beeindruckt. Als Performerin ist Gaga im Konzerthallen-Popgeschäft aktuell ohnehin unschlagbar. Das liegt vor allem daran, dass sie eben nicht nur geil singt und tanzt und geile Kostüme trägt, sondern live den von ihr selbst geschaffenen Mythos, den der hoch artifiziellen Kreatur Lady Gaga, dieser Monstermutter, weiter spinnt, ihn zerschlägt und wieder aufbaut. Hier zu sein meint bei ihr zu sein, für zwei Stunden Eintritt in ihre Welt zu haben, gemeinsam die beste Party der Welt zu feiern.

Wer will hinter die Aura blicken?

Beim „ArtRave“ wird Intimität behauptet und zumindest teilweise auch eingelöst: Man steht in einer Kirche und leistet Göttinnendienst. Lady Gaga dankt es einem damit, dass sie etwas preisgibt von sich selbst. In „Aura“, einer der besten Nummern von „Artpop“, fragt sie, ob man unter die Hülle blicken will – und: „Do you wanna see the girl who lives behind the aura?“

Hinter die Aura blicken, das will jeder, und beim „ArtRave“ durfte man sich über zwei Stunden lang der Illusion hingeben, dass man das auch kann. Unter den durchsichtigen Plexiglasstegen stehend konnte man aufblicken und sehen, wie die Lady über einen hinwegschreitet oder gleitet oder kriecht. So viel mehr Bühne bedeutet so viel mehr Fankontakt, von jeher eine der Paradedisziplinen dieser 2.0-Künstlerin: „Wir“ haben sie miterfunden, sie ist Geschöpf „unserer“ Illusionen, so geht der Mythos.

Kuscheltiere an die Brust

Später im Konzert wird sie sich die Perücke vom Schädel reißen und sich auf der Bühne vor aller Augen aus- und wieder anziehen lassen. Der Kostümwechsel wird zum Konzept erhoben, so wie alles andere auch. Im „Haus of Gaga“ hat alles Platz. Immer wieder klaubt Lady Gaga das Zeug auf, das auf die Bühne segelt. Holzfällerhemden, die sie gleich anzieht, Kuscheltiere, die sie an ihre Brust drückt. Im Gegenzug wird das Publikum mit Konfetti beschossen. Dann liest sie einen Brief vor, in dem ihr ein junger Mann von seiner Verehrung für sie berichtet, davon erzählt, dass er via Gaga die dunkle Wirklichkeit zumindest für kurze Zeit außen vor lassen könne. Sie holt seinen Freund und ihn auf die Bühne, lässt das Pärchen links und rechts von ihr Platz nehmen und gibt die Selbstbewusstseins-Hymne „Born this Way“ als Klavierballade. Ein bewegender Moment, vor allem aber ein authentischer. Für etwas mehr als zwei Stunden glaubt man unbedingt an dieses Universum, von Lady Gaga gepredigt als eines der Liebe und der Gleichberechtigung.
Sie sagt, jeder im Publikum, der oder die homosexuell ist, möge die Hand heben. Es sind viele, und „wer sich deshalb jetzt hier unwohl fühlt, haut besser gleich ab“. Jubel, Trubel, Rambazamba! Viele ihrer großen Hits, „Paparazzi“, „Pokerface“ und „Telephone“ etwa, gibt's nur in abgespeckten Versionen zu sehen und zu hören. Dafür eine fünfminütige, ziemlich großartige Coverversion von „What's up?“ der 4 Non Blondes, schönste Eintagsfliegennummer der Neunziger.

Lady Gagas „ArtRave” ist ein gewitztes Spiel mit gegenwärtigen und vergangenen Popmusik-Modi, zusammengehalten allein von der Künstlerin selbst. Da hat dann alles Platz, vom Cher-Klassiker „Bang Bang (My Baby shot me down)“ hin zur „Artpop“-Technonummer „Swine“, die sie in einem dezent verstörenden Ravemädchen-Gwandl inklusive knallbunter Marusha-artiger Dreadlocks-Perücke durchtanzt. Am Ende wird man von einem „Applause“-Remix aus der Halle gepumpt, den Kopf voller Liebe und Techno-Beats wie damals auf der Loveparade.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2014)

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