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Neue Platte: Grönemeyer beschwört das deutsche Wesen

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Herbert Grönemeyer hat es wieder getan. Auf seinem 14. Album „Dauernd Jetzt“ überschreitet er aber die Grenzen zur Selbstpersiflage ein wenig zu oft. Balduin Bählamm lässt grüßen.

„Der Sommer hat getanzt, der Sommer hat romanzt, der Moment der Ewigkeit“, ächzt er mit seiner typischen jammernden Flatterstimme, die sich wie keine andere dafür eignet, der deutschen Nüchternheit Pathos zu verleihen. Würde ein Schulkind so reimen, es käme nicht ohne Tadel davon. Grönemeyer darf das. Kein anderer deutscher Popstar wird so umarmt wie er. Er ist wohl das, was Bruce Springsteen für die USA ist. Ein Seismograf untergründiger Stimmungen, ein Mann, der in guten Momenten den Geist eines ganzen Landes in wenigen herausgepressten Worten auf den Punkt bringen kann. Er beschreit erfolgreich Stadien, als hätte er sich Nietzsches Diktum „Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden“ zu eigen gemacht.

In der großen Pose wohnt Grönemeyer auch auf seinem 14. Album. Leider hinken die Songlyrics seinem Anspruch diesmal deutlich nach. „Man könnte sich leicht über sie lustig machen“, befand der Rezensent der deutschen Zeitung „Die Welt“. Er tat es dann aus patriotischen Gründen doch nicht, denn diese Texte seien „vielleicht deutsche DNA“.

Besonders schmerzvoll ist die Diskrepanz zwischen poetischem Anspruch und sprachlicher Wirklichkeit in der vor falscher Bedeutsamkeit triefenden Hymne auf Fußballnationaltrainer Jogi Löw. „Direkt aus der Luft, von der gebogenen Brust, Seitfallschuss, Hand Gottes Gefüge, er landet sanft im langen Eck. Der Löw war los, sie war'n grandios, und endlich war's ihre Zeit.“

„Übermannt von Euphorietornados“

Mit dieser Aneignung des deutschen WM-Triumphs ist er ein bisserl gar spät dran. Die im Siegestaumel locker sitzenden Geldbörsen hat ja schon Andreas Bourani im Sommer mit „Auf uns“, einer mindestens ebenso unerträglichen Selbstbeweihräucherung, ausgeräumt.
Grönemeyer, meisterhafter Dompteur von Jubelmassen in Stadien, äugte ins Menschengewühl: „Übermannt von Euphorietornados, Wärmegewitter, Überglücklichsein, ein Freudenhaus randvoll mit Desperados, es fiel der vierte Stern.“ Plumps. Das klingt ganz nach den Fabrikaten von Wilhelm Buschs Sonntagsdichter Balduin Bählamm. Aber weil es sich im Londoner Exil leicht auf der Klaviatur des Nationalen spielen lässt, bastelte Grönemeyer mit „Unser Land“ gleich noch ein neues Liebeslied an Deutschland. Die gewohnt theatralische Intonation ist hier mit reichlich Orgel- und Saxofon-Zierrat versehen. Grönemeyer wirbt für so etwas wie ein differenziertes Nationalgefühl. „Es ist ein vielschichtiges Revier, wir mögen es, wie andere ihr's.“

Typisch deutsch ist auch, wie er über die Liebe singt. Bei ihm ist sie keine Himmelsmacht, sondern ein Stück Arbeit. „Ich lieb mich durch zu dir“ verspricht er protestantisch brav. Stehen bange Momente an, dann „grübelt man sich entzwei“, ehe die Sonne wieder scheint und die Sinne damit hell werden. Das blinde Sangesduo Amadou & Mariam aus Mali dient als exotisches Gewürz in „Feuerland“; die finnischen Cello-Rocker Apocalyptica fiedeln wuchtig im akzeptablen „Uniform“, Grönemeyers Abgesang auf die Social Media. „Jeder hat ein Recht auf Ruhe, auf Fehlerhaftigkeit, keiner braucht ein drittes Auge, das nicht von ihm weicht“ heißt es da.

Musikalisch bleibt alles elektronisch aufgemotztes Mittelmaß, nur „Fang mich an“ entfaltet etwas von der alten Magie. Zumindest in der Normalversion. Der technoide „Hoopieshnoopie“-Remix kostet allerdings einige Nerven. Und wieder wird die Welt nicht am deutschen Wesen genesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2014)

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