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Campino: "Gebe keinen guten Revolutionär mehr her"

Campino bei seinem jüngsten Besuch in Wien
Campino bei seinem jüngsten Besuch in WienAPA/HANS KLAUS TECHT
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Der Frontman der "Toten Hosen", erzählt, warum er die Stones lieber mag als Helene Fischer, wann er sich auszieht, wieso er kein glückliches Liebeslied schreiben kann und was sein Sohn zur Musik des Vaters sagt.

Die Presse: Wissen Sie, wer die Gruppe G bei den Qualifikationsspielen für die Euro 2016 anführt?

Campino: Das weiß ich tatsächlich nicht.

Österreich.

Das ist natürlich ein Hammer.

Das ist vor allem eine außergewöhnliche Situation für den österreichischen Fußballfan. Österreich hat Russland vergangenes Wochenende in Wien geschlagen und wissen Sie, welches Lied am öftesten im Stadion zu hören war? „Tage wie diese“ von den Toten Hosen.

Das ist besonders schön, wenn ich in diesem historischen Moment etwas mit meiner Band dazu beitragen konnte.

Ihr Lied wird in den Fußballstadien bleiben. Ist das gut, ist das schlecht?

Das ist auf jeden Fall in Ordnung. Wenn man ein Lied rausbringt, dann muss man es auch loslassen können, ihm zugestehen, dass es ein Eigenleben entwickelt. Wenn man die Schultern nicht hat, das zu ertragen, dann muss man im Probenraum bleiben und Musik für sich selber machen

Aber bei der Interpretation gibt es schon eine Schmerzgrenze? Es ist nicht egal, wer es singt?

Ich habe meine Vorlieben. Ich würde mich besonders freuen, wenn es die Rolling Stones anspielen sollten. Das ist mir natürlich lieber, als wenn es Helene Fischer intoniert. Aber das Lied wird ja nicht besser oder schlechter, ob es nun auf einer Hochzeit oder auf einer Beerdigung gespielt wird und die schlimmste Version ist ja immer noch die von mir selber, total betrunken auf dem Münchner Oktoberfest.

Diese Version habe ich auch gehört.

Man hatte mir erzählt, du, die spielen das Lied alle zwanzig Minuten, da musst du mal hin. Jedenfalls kam ich aufs Oktoberfest und es lief dort unser Lied. Ich hatte vorher darum gebeten, dass ich so einen Crashkurs kriege, ich wollte in jedem Zelt mindestens eine Maß Starkbier trinken und nach dem sechsten oder siebten Liter Starkbier hat irgendein „Freund“ gesagt, du musst das jetzt selber singen, du musst da jetzt rauf. Ich war so dicht, ich konnte nicht einmal mehr die Strophen, ich hab nur so ein bisschen reingelallt. War auch okay, weil alle 5000 Menschen gleich betrunken waren, nur ein Idiot hat mit der Kamera draufgehalten und die Aufnahme ins Internet gestellt. Ich wachte bei einem Freund im Keller auf, hatte ein Lebkuchenherz um den Hals, da stand drauf „Mia san mia“. Daran kann man schon sehen, wie voll ich gewesen sein muss. Ich taste nach meinem Handy, ich will nur nach der Uhrzeit sehen, und entdecke 30 SMS. In dem Ton: Na du Idiot, da hast du dir ja schon was Schönes eingebrockt.

Auf der Fanmeile in Berlin, als die deutschen Fußballweltmeister gefeiert wurden, wollten Sie definitiv nicht auftreten?

Das war eine Feier, zu der wir uns nicht hingehörig fühlten.

Zu deutsch?

Das möchte ich so nicht sagen. Wir wollten uns nicht auf eine Party draufsetzen, als Sahnehäubchen, wir hatten ja gar nichts dazu beigetragen. Dass die Mannschaft da feiert und unser Lied singt, okay. Aber ich wollte mich nicht im Glanz der anderen sonnen und den Eindruck hinterlassen, jetzt promoten die Toten Hosen ihr Lied. Diese Feierstimmung schien mir nicht richtig. Es ist ja auch nicht die Mannschaft, die ich von Herzen verteidige, ich bin Fan der englischen Nationalmannschaft. Denen würde ich gerne das Lied vorspielen, wenn sie Weltmeister werden. Wir haben immer ein ambivalentes Verhältnis zu Deutschland und auch zu übertriebenem Heimatstolz gehabt. Deshalb sind wir bei solchen Anlässen befangen und würden da lieber im kleinen Kreis bleiben.

Sie sind halber Engländer, könnten aber auch ein guter Österreicher sein, was die Einstellung zur deutschen Mannschaft betrifft. Man hält zu jedem anderen, Hauptsache nicht zu Deutschland.

Das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Mit der WM 2006 in Deutschland hat sich allerdings viel geändert. Mittlerweile tragen österreichische Kinder völlig unverkrampft deutsche Fan-Trikots und es ist total okay, die deutsche Mannschaft gut zu finden. Hat sich nicht auch in diesem Deutschland, das Sie anfangs so abgelehnt haben, viel verändert?

Tatsächlich hat sich da sehr viel getan. Mit dem Fall der Berliner Mauer gab es eine Zeitlang wieder eine gewisse Angst, was Deutschland mit der neuen Größe macht. Bei diesem Fußballturnier haben viele internationale Gäste gesehen, wie gastfreundlich die Deutschen sein können und dass sie sich sogar bemühen, in englischer Sprache zu antworten. Und dass dieses Strenge weggekommen ist. Es ist ein viel entspannteres Land geworden als in den 70er-Jahren, als wir anfingen zu spielen. Wir selbst haben die größten Lektionen im Ausland bekommen. Ich bin nie so ein guter Deutschland-Vertreter wie in der Ferne. Wenn ich etwa in Südamerika bin, dann ist mir völlig klar: Wenn ich einen Fernseher aus dem Fenster werfe, dann heißt es, das hat die deutsche Band gemacht. Da schwingt ein anderes Bewusstsein mit, man hat sich zu benehmen, man ist ein Repräsentant. Man wird auch auf Pressekonferenzen sofort nach dieser Rechts-Außen-Bewegung gefragt. Man geht in die Verteidiger-Position und will den Leuten zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gibt als das Bedrohliche, Laute, Grölende. Über diese Gespräche im Ausland haben wir ein viel gesünderes Verhältnis zum eigenen Land bekommen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Sie am Handy angerufen und sich dafür entschuldigt, dass die CDU bei ihrer Wahlfeier „Tage wie diese“ gespielt hat. Sagt das mehr über die Veränderung Deutschlands aus oder über Sie, weil Sie den Anruf überhaupt angenommen haben?

Wahrscheinlich ist das eine beidseitige Angelegenheit. Ich denke, wenn eine Kanzlerin einen Musiker anruft, dann ist es schwer vorstellbar, dass das aus ganzem Herzen, ohne taktische Überlegung passiert. Ich war irritiert. Ich fand es aber auch rührend.

Was hat sie genau gesagt?

Herr Campino, ich rufe Sie jetzt an, weil wir ja am Sonntag so auf Ihrem Lied rumgetrampelt sind. Das tut mir leid, das soll auch nicht die nächste CDU-Nummer werden, aber es ist ja so eine feine Melodie, die Sie da geschrieben haben. Die war dann ganz nett. Und ich habe gesagt, ich gehe davon aus, dass das unter uns bleibt, weil ich Sorge hatte, dass das kommuniziert wird. Es gab ja schon genug Aufregung um diese Wahlnacht. Es haben sich unheimlich viele darüber aufgeregt, auch bei uns, es gab sehr viele kritische Stimmen.  Man stellt sich auch vor, die hat eigentlich Wichtigeres zu tun. Das war das Schockierende. Aber die Art und Weise, wie sie das getan hat, war grundsympathisch, und sie hat sich auch daran gehalten. Von ihrer Seite ging das nie raus, sie hat das Gespräch nie erwähnt.

Zu Ihrer letzten Tour sind 1,1 Millionen Menschen gekommen. Das ist absoluter Rekord für eine

Es sind sehr viele Menschen, ja. Aber wir verstehen uns als Band, die immer da ist, die Band next door. Deshalb halten wir auch die Eintrittspreise niedrig. Bei uns sagen die Leute, schauen wir mal wieder bei den Toten Hosen rein, wie die jetzt drauf sind. Die Leute sehen sich das ja 20, 30 Mal im Leben an. Das Konzert wird vom Publikum geprägt, das Feuer kommt von den Menschen.

Gibt es einen Unterschied zu früher?

Damals haben wir gespalten und uns auch wohlgefühlt im Untergrund, im Randbereich der Gesellschaft. Heute sehen wir uns eher in einer verbindenden Funktion, weil wir auch gar nicht mehr anders können. Weil man jung sein muss, naiv, aggressiv, um etwas Revolutionäres zu versprühen. Das sind Lebensgefühle, die kannst du nicht konservieren. Wir haben so viel erlebt. Ich bin 52. Ich habe selber ein Kind. Ich gebe keinen guten Revolutionär mehr her. Das nimmt man mir nicht mehr ab. Und ich will es auch nicht mehr sein. Ich möchte meine Energie für Dinge einsetzen, die ich wichtig finde. Zum Beispiel dieses Bob Geldof Projekt „Band Aid 30“.

Sie haben auch sehr viel Energie auf der Bühne. Wenn das körperlich nicht mehr so gut geht, ist es dann auch vorbei mit den Toten Hosen?

Es ist total körperlich. Man wird auch nicht umhin können, das an sich selber zu akzeptieren und einen Weg zu finden, wie man das in Würde hinkriegt. Ich weiß gar nicht, wie das geht, nur so dazustehen und ein Lied vorzutragen, da käme ich mir richtig blöd vor.

Sie ziehen sich auch gerne aus.

Auf der Bühne ziehe ich mal ein Hemd aus. In meinem Alter gibt es keinen Grund, seinen Körper zu zeigen. Aber, das hat eine ganz praktische Funktion. Wenn ich mir mein Hemd ausziehe, dann bedeutet das, dass ich gleich ins Publikum springen werde. Wenn man verschwitzt ist, können sie einen nicht festhalten, wenn ich das mit Hemd machen würde, rissen die Leute daran herum und das kann sehr unangenehm sein.

Wie gefällt Ihnen Ihre Biografie?

Wenn andere über uns sprechen, kriegt es ein anderes Gewicht. Die Stelle über unser 1000. Konzert in Düsseldorf (damals starb eine junge Holländerin, sie erstickte in der Menge, Anm.) ist mir sehr nahe gegangen, ich konnte die Gefühle wieder spüren, die damals in mir waren.

In dem Buch ist ein Foto abgebildet, auf dem Ihr Vater Ihnen nach dem Konzert den Arm um die Schultern legt. Konnte Ihr Vater Ihnen in so einem Moment Trost spenden?

Er kam in die Garderobe, er ließ sich von der Security nicht abwimmeln. Er war der einzige, der ruhig geblieben war. Er war schon ein sehr alter Herr. In dem Moment war mir klar, dass der schon Katastrophen ganz anderen Ausmaßes gesehen hatte, er war vom ersten bis zum letzten Tag im Weltkrieg gewesen, an jeder Front, die man nennt, ob Polen, Frankreich, Stalingrad, dort bekam er einen Kopfschuss. Er wurde mit einem der letzten Hubschrauber ausgeflogen, wurde wieder zusammengeflickt. Ich weiß nicht, wie viele Menschen er neben sich sterben sehen hat und wie viel Blut…In diesem Moment war er völlig ruhig, er sagte, Jungs, Ihr habt alles gemacht, um die Situation zu entschärfen, man kann Euch keinen Vorwurf machen. Es wird wieder gut werden und Ihr werdet es durchstehen. Dann ist er gegangen. Die Geste war schön, seine Ruhe hat mich beeindruckt. Wir waren völlig außer uns und traurig, Hunderte Gefühle sind da durch uns durchgejagt. Es war ein kleiner Trost, aber es hat die Katastrophe nicht weggewischt. Wir waren unter Schock.

Sie waren als Jüngster der Lieblingssohn Ihres Vaters. Aber Sie waren auch für die gute Stimmung verantwortlich, die Geschwister haben Sie immer vorgeschickt. Prägt Sie das bis heute, das Bedürfnis, für gute Stimmung zu sorgen?

Da könnte was dran sein. Harmoniebedürftig bin ich. Unheimlich. Es fällt mir sehr schwer, mich zu streiten und danach einfach so weiterzuleben. Andere können das ja, tagelang beleidigt sein, das geht bei mir nicht, das ist alles sehr eruptiv, aber ich bin dann in der Lage, mich sofort zu entschuldigen. Auch in einer Partnerschaft. Ich halte das nicht aus, schlafen zu gehen, wenn da etwas unausgesprochen ist. Aber genauso bin ich auch konfliktbereit. Das habe ich auch von meinem Vater. Das Streiten haben wir auch zu Hause ganz gut gelernt.

Ihr Manager hat sich beschwert, dass Sie nur „desperate lovesongs“ schreiben. Sie haben ja nicht unbedingt Frauenprobleme?

Ich habe ein Problem mit kitschigen Liedern.

Unglückliche Liebe macht sich besser?

Ich würde unheimlich gerne einmal ein glückliches Liebeslied schreiben, wo alles in Ordnung ist und der Text trotzdem nicht peinlich wirkt. Das schönste Liebeslied, das ich kenne, ist „Nothing compares to you“. Aber das ist ja eigentlich auch unglücklich. Ein gutes, glückliches… da müsste man vielleicht bei den Beatles nachschauen, die haben verdammt viele gute Liebeslieder, aber das waren sowieso Genies. Ich habe das Geschenk noch nicht bekommen, einfach ein Liebeslied zu schreiben, das total harmlos ist, und wo es nicht am Schluss noch kracht und etwas kaputt geht. Immer geht etwas schief. Aber so ist auch die Ambivalenz von Gefühlen.

In einem Ihrer Lieder heißt es „Eine Handvoll Glück reicht nie für zwei.“ Eine Momentaufnahme?

Natürlich sind das nur Momentaufnahmen. Am Ende des Tages geht es immer nur um Liebe. Wenn die Sehnsucht nach diesem Gefühl nicht da wäre, dann bräuchte man auch nicht aufzustehen. Liebe kann man ja in viele Richtungen definieren, nicht nur Mann und Frau. Liebe ist für mich der Glaube an etwas Konstruktives, Positives und das scheint bei uns hoffentlich durch. Ich hoffe, dass wir eine konstruktive Band sind.

Das Glück, das nicht festzuhalten ist, ist schon eine Grundkonstante in Ihrer Musik.

Es ist ja nun mal so. Sonst würden wir es auch nicht so intensiv empfinden. Glück kann ja nur voll ausgekostet werden, wenn es auch Tage gibt, wo es ganz schwarz wird.

Ihre Einstellung, dass alles seinen Preis hat, hat schon etwas sehr Katholisches.

Das ist meine feste Überzeugung. Wir Menschen haben zwei Reservetanks, der eine ist aufladbar: Ich bin fertig, fahre auf Urlaub und komme dann fit nach Hause. Aber dann gibt es diese andere Energiebox in uns, die ist begrenzt. Wenn wir die überziehen, dann lädt sich das nicht mehr auf. Dann gehen die Leute teilweise kaputt. Es gibt eine Kraft in uns, die nicht aufladbar ist. Die muss man sich einteilen, wenn man älter wird.

Wird der Bezug zur Vergänglichkeit nicht meistens anders, wenn man ein Kind hat?

Wenn ein Kind da ist, wird das Spektrum der Sorgen ganz anders. Es ist dann nicht ganz egal, was mit einem passiert. Ich balanciere nicht mehr am Bühnendach rum. Die ganz harten Sachen lasse ich sein. Auch weil ich mir denke, mein Sohn hat Anspruch darauf, dass ich ihm noch eine Zeitlang zur Seite stehe.. Für mich ist die Geburt meines Sohns der Moment gewesen, an dem ich endlich aufgehört habe, mich nur um mich selber zu drehen.

Welche Musik hört Ihr zehnjähriger Sohn?

Marteria, Seed, Macklemore. Das war auch die erste Scheibe, die wir beide gut fanden und dann waren wir zusammen beim Macklemore-Konzert und ich musste mich auf seinen Befehl hin zehn Meter hinter ihn stellen. Es hat tierisch geregnet, ich wollte ihm immer eine Jacke überziehen, aber dann hätte man sein cooles Sweatshirt nicht gesehen, also hat er das auch abgelehnt. Er stand da im Regen, tanzte ab, grinste hochzufrieden und sagte am Abend, wir haben dort gezeltelt: „Papa, das war so ein toller Tag.“ Und das sagt er nicht oft.

Hört er die Toten Hosen?

Das weiß ich nicht. Er ist ziemlich textsicher, das habe ich bemerkt, als er einmal auf einem Konzert war. Aber er würde mir das nicht verraten. Ist auch gut so.

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