Pop

Blue Bird: Welke Veilchen, ein Cheers auf Jochen Rindt

Das Zehn-Jahres-Jubiläum des Festivals beschlossen die sonnig-entspannte Folkcombo Phox und John Bramwell, der einzigartige Sänger von I Am Kloot. Seine tiefdunkle Poesie schneidet zügig ins Gemüt.

Phox kommen zwar aus Wisconsin, ihre Musik strahlt dennoch kalifornische Sonne und damit verbundene Entspanntheit aus. Die Lieder dieser dank des Blue-Bird-Festivals in Wien debütierenden Alternativ-Folk-Band sind so einfach wie anheimelnd. Die blitzgescheiten Arrangements versuchten zwar den emotionalen Kern ein wenig zu verrätseln, aber im Grunde steht und fällt alles mit dem glockenhellen Gesang von Monica Martin, der so ideal zum Sich-treiben-lassen einlud. Mit herrlich verschlafenen Tagträumen über Männer und verwelkende Veilchen zog sie das Publikum damit von der grauen November-Realität ab.

Das großartig heulende „Slow Motion“ lockte aufs Terrain der existenziellen Entschleunigung, wo zwar auch gesündigt wird, das aber wenigstens bewusst. In anderen Songs philosophierte Martin über noble Herzen und Samen wilder Himbeeren. Das war alles superlieb, jedoch in den engen Grenzen derzeitiger gesellschaftlicher Konventionen. Auch die abschließende Coverversion, eine verhuschte Deutung von „Not For All The Love In The World“ von The Thrills, verwies darauf, dass es Phox ein wenig an Getriebenheit fehlt. Die hatte dafür John Bramwell, ein Mann, der Songs von Beatles-Qualität schreibt, aber leider bei Weitem nicht soviel wie die Fab Four verkauft.

Mit einigermaßen lädierter Stimme – er verausgabte sich am Vorabend in Manchester mit seiner Band I Am Kloot – stellte er sich dem nach drei Tagen Blue Bird schon einigermaßen niedergesungenen Publikum. Und siehe da, es ging noch einmal ein Ruck durch die Gemeinde. Bramwell bezauberte mit trockenem britischen Humor und süchtig machenden Melodien, die er einzig der Gitarre und dem Brustkorb entrang.

Wie ein Flamenco-Gitarrist

Das Repertoire? Nichts als Lieder von I Am Kloot, also nackte Emotion. Natürlich sehnte sich mancher nach den jazzigen Bassläufen von Pete Jobson oder den trockenen Beats von Andy Hargreaves, aber der Magie dieses Soloauftritts konnte sich letzten Endes selbst der passionierteste „I Am Kloot“-Fan nicht entziehen. Wie ein spanischer Flamencogitarrist startete Bramwell mit kurios angewinkelter Gitarre mit „On The Brink“. Die Lieder erzählten allesamt vom Leben an den Rändern des Mainstream, Stories vom stilvollen Verschwinden diesseits von Gier und Ehrgeiz. Österreich war immer schon gut zu ihm, erzählte Bramwell. Mit fünf Jahren durfte er in einem Lotus von Jochen Rindt sitzen, mit zwölf mit Niki Lauda plaudern.

Mit leuchtenden Augen schwärmte er von der früheren Formel 1, wo sich Gefahr und Poesie verbanden. „Cheers, Jochen!“, rief er mit erhobenem Bierbecher und zog weiter in den nächsten „tearful song about alienation“. Dem zarten „To You“ folgten mit „Twist“ und „Dark Star“ bejubelte Rückgriffe aufs Debütalbum von 2001. Songzeilen wie „We fuck and we fight, someone else does the dishes“ und „There's blood on your legs, I love you“ schneiden immer noch so zügig ins Gemüt wie damals. Auch „Northern Sky“ und „Proof“ begeisterten. Die Schönheit und Schmerz sorgsam austarierenden Lieder Bramwells halten fest, was im Leben längst verloren ist. Und die tiefdunkle Poesie geht offensichtlich an die Substanz von Bramwells Zähnen. Selten hat jemand schönere Poesie mit schlechteren Zähnen gesungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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