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Bob Dylan gräbt Winterlieder aus

Bob Dylan
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Er wolle Frank-Sinatra-Songs „aus dem Grab holen“, sagt Bob Dylan. Doch was tut er auf „Shadows In The Night“? Er friert sie ein, macht letzte Lieder daraus.

Nein, er wolle diese Songs „auf keine Weise“ covern, schreibt Bob Dylan in seinem offiziellen Statement zu „Shadows In The Night“ – und spielt mit dem Doppelsinn des Wortes: „They've been covered enough. Buried, as a matter of fact.“ So sei es an ihm und seiner Band, sie aus dem Grab zu holen und ans Tageslicht zu bringen.

Was für eine Ansage. Was für ein Ansinnen des wichtigsten lebenden Songdichters. Vor 54 Jahren hat Bob Dylan seine erste, bis heute rührend unreif klingende Platte veröffentlicht, auf der elf von 13 Songs nicht von ihm waren, auf der er sich altklug in eine große amerikanische Musiktradition (Folk, Country, Blues) reihte, auf der in acht von 13 Songs vom Tod, vom Grab die Rede war. Und jetzt, mit 73, bietet sich dieser Mann als Ausgräber an – von Songs aus einer ganz anderen amerikanischen Musiktradition.

Denn die zehn Nummern auf „Shadows In the Night“ stammen nicht von den staubigen Straßen der Männer, in deren Fußstapfen sich Bob Dylan in seinen Anfängen stellte (Woody Guthrie, Leadbelly, Cisco Houston), sondern aus der glitzernden Welt der Tanzpaläste der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Sie sind Broadway, nicht Bronx. Man kennt sie mit schmachtenden Geigen, in großer Abendgarderobe. Und sie alle waren im Repertoire des größten US-Sängers der Prä-Rock'n'Roll-Ära: Frank Sinatra.

Interview mit US-Seniorenmagazin

Er habe sich in seiner Jugend keine Sinatra-Platte gekauft, erzählte Dylan in seinem einzigen Interview zum neuen Album, das er der Zeitschrift des US-Seniorenverbandes AARP gab. Das hätte auch niemand angenommen: Frank Sinatra hörten vielleicht Abraham und Beatrice Zimmerman, aber nicht ihr Sohn Robert, auch nicht, bevor er sich als Bob Dylan selbst erfand.

Was sucht Dylan jetzt in Frank-Sinatra-Songs? „In diesen Liedern ist nichts Erfundenes“, sagt er, „in ihnen ist kein einziges falsches Wort. Sie sind ewig.“ Ewige Wahrheiten also. „There are no truths outside the gates of Eden“, hat Dylan vor 50 Jahren gesungen. Der Garten Eden in Sinatra-Schlagern? Das Paradies im American Songbook?

Wer das für sich nie finden konnte, kann sich nur Bob Dylans Führung anvertrauen. Und der seiner Band, die die Sache ganz sachte, ganz behutsam angeht, mit Donny Herrons leise weinender Pedal Steel Guitar im Vordergrund, mit einem Bass wie ein Krückstock, ohne heftiges Schlagzeug: Musik, in der nichts mehr dringlich, drängend ist, die nur zurückblickt, nie vorwärts. „Since you went away, the days grow long“, singt Dylan, während die Musik fast einfriert, „and soon I'll hear old winter's song.“ Auch Sinatra hat das einst ruhig und wehmütig gesungen, aber bei Dylan klingt es, als ob die Geliebte vor Jahrzehnten gegangen wäre, als ob die Blätter schon lange, lange welk wären. Es ist nicht mehr das Herbstlied, es ist schon das Winterlied, das Dylan singt.

Die Auswahl der Songs tut das Ihre: Vier davon – darunter eben „Autumn Leaves“ und das wunderbare „I'm A Fool To Want You“ – hat Sinatra auf „Where Are You“ (1957) gesungen, dem von der schmerzhaften Trennung von seiner großen Liebe Ava Gardner geprägten Album. Auch „Full Moon And Empty Arms“ und „What'll I Do“ sind Lieder vom Ende der Liebe, und „Stay With Me“ ist noch mehr: ein Lied vom Erkalten. „Comes the darkness and the frost“, heißt es darin, „I get lost, I grow cold, I grow weary, and I know I have sinned, and I go seeking shelter and I cry in the wind.“ Bei Sinatra hat das etwas von leidender Majestät, Dylan hat es bei seinen Konzerten – bei denen es im letzten Spätherbst die Zugabe war – mit großer, fast verzweifelter Verve gebracht, wie die Essenz seines eigenen Songs „Shelter From The Storm“; in der nun veröffentlichten Studioversion verzichtet er auf Nachdruck. Und nein, natürlich trifft er nicht alle Töne, aber er singt „schöner“ als seit Langem, fast so „schön“ wie auf „Nashville Skyline“ (1969), als er das erste Mal mit großer Konsequenz die Schlichtheit entdeckte.

Denn das sucht und findet Dylan in den Sinatra-Songs: Schlichtheit. Sätze, die so einfach sind, dass sie sich niemandem verschließen. Eine weitere Station auf seiner langen Winterreise zurück ins Allgemeine, weg von dem Originalgenie, das er war. „I'm Not There“, heißt einer seiner rätselhaftesten Songs aus den späten Sechzigern, auf „Shadows In The Night“ trifft das schon ganz gut zu: The artist formerly known as Bob Dylan steht in einer imaginären Bar und singt Frank Sinatra. Letzte Bestellungen bitte, es ist schon spät, der Abend war lang wie das Leben, und der Sänger ist müde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

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