Sizarr: „Das Musikbusiness ist hinterfotzig“

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Komplexe Sounds, zwingende Melodien: Sizarr haben mit „Nurture“ ihr zweites Album vorgelegt. Sänger Fabian Altstötter über die Musik und ihre Tücken.

Nach dem Überraschungserfolg ihres zärtlich elektronisierten Debüts „Psycho Boy Happy“ haben sich die drei Burschen aus dem oberpfälzischen Landau auf ihre konventionellen Instrumente besonnen. Das wichtigste Organ ihrer Band Sizarr ist die melancholiegetränkte Stimme des 23-jährigen Sängers Fabian Altstötter. Sie ist auf „Nurture“, dem zweiten, angenehm düsteren Opus, wichtiger denn je. Sie wartet mit einem Paradox auf, indem sie gleichzeitig Coolness und soulige Hitzen abstrahlt. Auf „Baggage Man“ mäandert sie zwischen den großen Gefühlen, die Einsamkeit und Zweisamkeit auslösen. „Oh Einsamkeit, my interior‘s wasted land, my hips and lips lie idle, for yours to replan“, lechzt der Protagonist nach einem Gegenüber. Ist es dann da, regnet es Zweifel. „Oh Zweisamkeit, how many more repeats until I learn the differences between desire and need?“, singt Altstötter mit attraktiv brüchiger, heller Stimme. Ja, Sehnsucht war immer schon ein großes Sujet in der Popmusik. Aber darf sie überhaupt jemals gestillt werden, ohne dass der Zauber vorbeigeht?

Schattseite. „Wahrscheinlich nicht. Es gibt ein paar Dinge, die man braucht, um glücklich zu sein. Und die funktionieren nicht, ohne dass einem von Zeit zu Zeit was weh tut.“ Altstötter ist erstaunlich reif für seine wenigen Lebensjahre. Eine wesentliche Scheidelinie in der Hierarchie der Popmusik ist jene zwischen Euphorie und Melancholie. Wieso sind Sizarr da so eindeutig auf der schattigen Seite? „Das war von Anbeginn, also schon zu Schülerzeiten, unsere Dynamik. Mir ist beim Schreiben der Texte immer nach Schwermütigem zumute. Die Spaßband waren wir nie.“ Ihre Aura ist geheimnisvoll, ihr Sound voller untergründiger Spannung. In den vergangen Jahren haben Sizarr auf Festivals oft als Anheizer von internationalen Spitzenbands wie The Editors und Vampire Weekend gespielt. Bekamen sie da Feedback? „Kaum. Jeder ist heute ja hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Wir hatten nicht viele Illusionen, aber etwas mehr Kameraderie hätten wir uns erhofft. Das Musikbusiness ist hinterfotzig, ein Ellenbogengeschäft.“

Die Lüge ist auch Thema im düsteren „I May Have Lied To You“, vom Sujet her ein Klassiker für das Beziehungslied. In diesem Bereich kennen sich die Burschen aus. In Landau leben sie längst nicht mehr. Wie das? „Wir sind unseren Freundinnen nachgezogen.“ Seit sie verstreut auf Frankfurt, Berlin und Hamburg leben, ist das kreative Arbeiten schwieriger geworden. Das Komponieren ist eine zerhackte Tätigkeit. Was bei ihrem Faible für exzessives Editing aber auch kein Fehler ist. Die Datenleitungen glühen, wenn sie ihre Einfälle herumschicken. „Uns interessiert Pop als Kunstform. Nur Unterhaltung zu machen, wäre uns zu wenig. Obwohl es auch ein nicht zu unterschätzender Anspruch sein kann, die Köpfe der Menschen nicht zu sehr anstrengen zu wollen. Aber das sollen andere machen“, brummelt Altstötter. Wie definiert er den geglückten Popsong? „Seine Essenz ist Einfachheit, aber eine, die während der Spielzeit des Liedes keine Wünsche offenläßt. Ein Lied muß eine deutliche Spur durch den Kopf des Hörers ziehen.“ Bei allem löblichen Problembewußtsein heutigen Daseins sind Sizarr im Grunde entspannte Typen. „Ruhe ist die Stärke aller, die aus der Provinz kommen. Wir sind sehr entspannt aufgewachsen, konnten uns gut auf Kunst konzentrieren. Ist man sensibel genug, Künstler zu werden, dann stellt so eine Kleinstadt viel unbarmherziger die Forderung an einen, sich zu entwickeln. Man kann sich in einem Ort wie Landau kaum in Ablenkungen verlieren.“

Verspielt und ernst. Das mit der Karriere hat erstaunlich gut geklappt für eine Band, die statt Strategien auf Leidenschaft setzt. „Wie wir klingen wollten, haben wir nie explizit besprochen. Am besten wie alle Guten auf einmal. Wir sind sehr naiv an alles herangegangen. Selbst bei der Namensfindung. Sizarr war das erste Wort, das mir einfiel.
Und ich glaube an die Kraft des ersten Einfalls. Uns ging es darum, ein Wort zu finden, mit dem nicht jeder sofort etwas assoziiert. Eine unserer ersten Schlagzeilen war: ,Sizarr, ziemlich bizarr!‘ Die war aufgelegt“, lächelt Altstötter. Über die zehn neuen, formschönen Lieder wird sich wohl niemand ein derartig flapsiges Urteil erlauben. Sizarr tönen noch internationaler als auf ihrem Debüt. Mit ihren impressionistisch gesetzten Baßläufen, ihren stets verspielten Gitarrenklängen und den munteren Rhythmen, die ein kluges Gegengewicht zum existenziell schweren Gesang Altstötters bilden, könnten sie genauso gut aus Sheffield oder Birmingham kommen. Altstötter: „Nurture“ ist eine Menschwerdungsplatte. Unsere Hauptfrage lautet: Wie wird man zu dem, was man ist?“ Die Lieder splittern diese vielen bekannte Identitätsproblematik kunstvoll auf. Kommt man als Musiker heutzutage überhaupt mit einer Identität aus? „Schwer zu sagen, man ist wohl ein Hybrid aus mehreren Charakteren. Künstler müssen im Changieren noch schneller sein, weil ja keiner auf das reduziert werden will, was er irgendwann mal früher gesagt oder gemacht hat.“ Ein ein wenig nach Talking Heads klingendes Lied heißt gar „Timesick“. „Es geht um die Verdrossenheit, sich nicht im Zeitgeist wiederzufinden.“ Sizarr wird das nicht passieren. Immerhin hofft dieses Weltschmerz-Trio, dass die Aufmerksamkeitsspannen ihrer Generation wieder irgendwann mal länger werden. „Das Album als Kunstform ist uns schon immens wichtig. Nur mehr einzelne Lieder auf Plattformen zu stellen, wäre unser Ende.“

Tipp

„Nurture“ von Sizarr erscheint am 27. 2, bei Four Music. Konzerte: 23. 4. Weekender, Innsbruck; 24. 4. Rockhouse, Salzburg.

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