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Madonna: Sie bleibt die Queen of Pop

(c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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Liebeshauchen und kräftiger Stoff für Bewegung: Kommenden Freitag bringt Madonna ihr 13. Album, "Rebel Heart", auf den Markt, eine Rückblende in New Yorks Danceteria der 1980er.

Bitch, I'm Madonna“, ihr neuestes Stück Dancefloor-Pop beginnt aufreizend naiv. Zärtlich schmiegt sich ihre Stimme an eine folkige Gitarrenmelodie. Ein Refrain, charmant wie eine Maschinengewehrsalve, macht der sanften Anmutung ein jähes Ende. „I just wanna have fun, let me blow up this house tonight.“ Madonnas reife Stimme müht sich durch den Verzerrer, sucht ihren Platz zwischen europäischen Techno-Beats, jamaikanischen Halleffekten und quietschenden Fußballplatzhupen. „Ain't got nothing left for me to prove“, singt diese Königin des Pop da leicht enerviert. Sie gibt die ungemütliche Route vor: „It's that go hard or go home zone, bitch.“

Von ihrem Arbeitsethos schwärmen ihre jungen, musikalischen Zuarbeiter. Trotzdem waren die Tempel des Hedonismus, die Clubs der frühen Achtzigerjahre, die Orte, an denen sie ihre künstlerische Ausrichtung schärfte. Als sie 1978 aus dem ländlichen Michigan nach New York kam, war die erste Welle des mondänen Nachtlebens, die mit der Erfindung des Genres Disco hochschwappte, gerade am Verebben. Legendäre Nachtasyle wie The Loft und der Club 54 waren zu Touristenfallen verkommen.


Sade als Bardame. Die Paradise Garage konnte sich noch bis Mitte der Achtzigerjahre halten. Eine neue Art von Discothek begann sich zu etablieren, die nicht mehr auf einzelne Genres setzte, sondern breit aufgestellt war. Neben Disco eroberten sich New Wave und sogar Punk die Tanzflächen. Etwa in der vierstöckigen Danceteria im Herzen Manhattans. Der Club war ein Rückzugsort für die Community, also für lokale Künstler, Schwulenaktivisten, aber auch für Leute, die nach einem Rockkonzert im Mudd Club oder im CBGB noch nicht nach Hause wollten. Rapper LL Cool J war Liftwart in der Danceteria, die Jungs, die später als Beastie Boys berühmt werden sollten, servierten die leeren Gläser ab und kurze Zeit stand sogar die britisch-nigerianische Soul-Ikone Sade hinterm Tresen. Die Danceteria war Madonnas Wohnzimmer und Universität.

Damals praktizierte sie Contemporary Dance im Studio von Alvin Ailey, jobbte in einer Filiale von Dunkin' Donuts und studierte nächtens die hippen Sounds, die DJ Mark Kamins auflegte. Nach Zwischenspielen in Bands wie Breakfast Club und Emmy wuchs in ihr der Wunsch, es als Solokünstlerin zu versuchen. Ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte sie in der Danceteria. 1982 stellte Madonna vor einer Handvoll Leute ihren ersten eigenen Song „Everybody“ live vor. DJ Mark Kamins brachte das Tape zu Sire Records. Madonna erhielt einen Vertrag für zwei Singles. Erst, als sich diese als Underground-Hits entpuppten, war der Weg zur Solokarriere frei. Spaziert man heute zur Adresse 30 West, 21 Street, steht man vor einem Apartmenthotel. Manhattan, was bist du steril geworden!

Ein kleines Stückchen Atmosphäre jener Jahre ist auf Zelluloid gebannt. In einer Szene in Susan Seidelmans Komödie „Desperately Seeking Susan“ tanzt die junge Madonna in der Danceteria zu ihrem eigenen, frühen Dancefloorhit „Into The Groove“. „Tanzen, das ist schon was Archaisches“, ist Madonna überzeugt „Seit den Anfängen der Evolution haben sich Menschen gemeinsam zum Sound von Trommeln bewegt.“ Sind Discotheken wirklich die letzte Zuflucht derer, die sich in den Häuserschluchten jeder modernen Megapolis auf Tribales besinnen? In Madonnas Verständnis gewiss. In ihren frühen Bands hat sie sich gerne hinter das Schlagzeug gesetzt, später waren ihre besten Freunde jene, die sich Beats ausdachten.


„Like a Virgin“. Das begann mit Jellybean Benitez, ihrem ersten DJ-Produzenten. Bei ihren Impulsgebern setzte sie auf Außenseiter. Eine Ausnahme war Nile Rodgers, der jazzgeschulte Gitarrist der Disco-Supergroup Chic. Er hatte mit Superstars wie David Bowie und Diana Ross gearbeitet, als sich Newcomerin Madonna 1984 an ihn wandte. „Sie war damals schon unheimlich fokussiert und fand rasch einen Weg in die Herzen und Köpfe der Mädchen.“ Rodgers, der ihr Album „Like A Virgin“ mitkreierte, sah in Madonna sofort das Besondere. „Mit ihren Songs war sie gleich so etwas wie die Sprecherin der weiblichen Jugendkultur.“

2005 kam sie mit „Confessions on a Dancefloor“ wieder auf Disco zurück. Mit synthetischen Mitteln bereitete sie den Boden für den bald folgenden Retro-Disco von Daft Punk auf. Der Riesenerfolg von „Random Access Memory“ wäre ohne die Vorarbeit Madonnas schwer vorstellbar. Im Laufe ihrer Karriere suchte sie stets Fühlung mit den pickeligen Jungs, die in Heimstudios an weltumwälzenden Sounds bastelten. Sie hat mit Martin Solveig aufgenommen, mit Pharrell Williams, Mirwais und Stuart Price – Kräfte, die die Dancefloor-Szene prägten. Der Außenseiterstatus ihrer Komplizen war Madonna auch auf ihrem neuen Album „Rebel Heart“ wichtig. Sie tüftelte mit Hip-Hop-Renegat Kanye West, den Jungspunden Diplo und Avicii, die die Electronic Dance Music (EDM) der vergangnen Jahre zum globalen Craze gemacht haben. Sehnsucht nach Erlösung treibt Madonna. „I've been swimming in the ocean till I'm almost drowned, give me something I can believe in, teach me how to pray.“

Ihre rebellische Attitüde hat sie im wirklichen Leben von der Christenheit weg in die jüdische Mystik der Kabbala geführt. Lateinische Messen und den Geruch von Weihrauch mag sie immer noch. Die Institution der Kirche attackiert sie trotzdem. „Nur faschistische Staaten unterbinden das. Ohne den Geist der Rebellion hat Popmusik keinen Sinn“, sagte sie. Dass militanter Gestus auch in Sackgassen führen kann, bewies Mike Tyson, den sich Madonna für eine Nummer als exotischen Rapper ins Studio geholt hat.

Der ehemalige Boxweltmeister im Schwergewicht liebt Reden Mussolinis. Sie hätten ihn zu seinem Impromptu-Rap in „Iconic“ inspiriert. Italienisch versteht er zwar nicht, aber im Dechiffrieren von körpersprachlichen Äußerungen ist er eine Autorität: „Ich weiß, dass die Leute sagen, er sei ein Faschist“, sagt Tyson, „aber der Mann hat diesen ,Street Swag‘, etwas total Hypnotisches. Kein Wunder, dass Hitler von ihm begeistert war. Er gestikulierte schon wie ein Rapper, als es Hip-Hop noch lange nicht gab.“ An Madonna wird auch dieser Nonsense abperlen. Sie bleibt die Queen of Pop.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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