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Comedy: Jetzt kommen Rasierklingen-Ayşe und Massaker-Fatma

(c) Patrick Knoch
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Die deutsch-türkische Komikerin Idil Baydar hat mit der Kreuzberger Türkin Jilet-Ayşe eine klischeehafte Figur erfunden, die lieber pöbelt, als arbeiten zu gehen. Mit ihr wolle sie aufzeigen, welche Bilder in die Migrantencommunitys transferiert werden, erzählt sie im Gespräch.

Den ganzen Tag im Fernsehen: Hitler, Hitler, Hitler. Zwei Dokus am Tag, Hitler mit Schäferhund, Hitler ohne Schäferhund, Hitler mit langem Schatten, Hitler mit kurzem Schatten, „manchmal ich weiß nicht, magst du ihn noch oder magst du ihn jetzt doch nicht?“ Gefühlte 100 Jahre von Hitler entfernt sei der jetzt im Fernsehen „ein größerer Popstar als Michael Jackson“. Und dann die verwunderten Sprüche: „Warum sagen die Nazi zu mir?“, dabei sei die Sache so eindeutig: „Den ganzen Tag macht ihr Nazi-Programm!“

Eine brutale Sequenz aus den Bekenntnissen eines arbeitslosen Faulpelzes mit türkischem Migrationshintergrund und Sprachdefizit, eines „integragtionsunwilligen Problemausländers mit multiplen Vermittlungsschwierigkeiten und potenzieller Gewaltbereitschaft“. Das ist Jilet-Ayşe – zu Deutsch: Rasierklingen-Ayşe –, der pöbelnde Albtraum des deutschen Steuerzahlers. Auf Arbeit reagiert sie allergisch, sie ist permanent wütend, besitzt mehrere Handys und hat ein Faible für übergroße Billigohrringe. Ihr winziger Handtaschenhund heißt Massaker-Fatma. Sie ist ganz offensichtlich Dauergast im Solarium und hätte gern Hartz-IV-Zuschuss für ihren Chanel-Lipgloss. Die Deutschen versteht Jilet-Ayşe nicht, die machen komische, vegane Kinder mit Laktoseintoleranz, und sie versteht nicht, warum Frauen ihren Mann verlassen, nur weil der sie ein bisschen verprügelt hat. Ist doch normal.

„Tötet es, bevor es Eier legt!“

Jilet-Ayşe ist das klischeetriefende Konstrukt eines türkischen Teenagers aus Berlin-Kreuzberg, das von der Komikerin Idil Baydar verkörpert wird. Baydars YouTube-Videos sind ein Internet-Hit, nicht zuletzt deswegen, weil sie zwei Jahre lang auf der Website der „Bild“-Zeitung zu sehen waren. Für Baydar ein hervorragendes Experiment, zumal sich ebenjene „Bild“-Leser gern an den vorhin erwähnten Klischeebildern bedienten. „Da kamen Sprüche wie: ,Tötet es, bevor es Eier legt‘“, erzählt die 40-Jährige, die in Celle geboren wurde und lang als Jugendarbeiterin tätig war.

Für Baydar ist ihre Figur alles, was sie selbst nicht ist, aber alles, was von der Mehrheitsgesellschaft in die Migrantencommunity transferiert werde: „Jilet-Ayşe ist 40 Jahre Migrant in Deutschland – und das ist das Ergebnis. Ich finde das sehr denkwürdig. Diese Gesellschaft produziert diese Bilder.“

Etwa das Beispiel, dass Gewalt in einer türkischen Familie als absolut normal wahrgenommen werde. Als Jugendarbeiterin wisse Baydar, dass viele junge Mädchen sehr wohl mit gewalttätigen Eltern aufgewachsen sind, aber bei der Debatte darüber schwinge diese Selbstverständlichkeit mit, „dass wir alle geschlagen werden. Das ist Teil der Normalität, die man für uns kreiert hat.“ Jilet-Ayşe will dieses Bild ins Gegenteil verkehren, indem sie Klischeebilder über Deutsche genüsslich auseinanderzieht wie einen Kaugummi. Sie sagt ihnen: „Ihr sterbt aus. Ihr habt verlernt, wie man Kinder macht. Mögt ihr euch nicht? Wie sollen wir euch dann mögen?“ Als Individuum könne sie diese Art der Kritik üben, meint Baydar, sie sei ja keine Gesellschaft: „Du kritisiert mich, du marginalisierst mich, also werde ich das mit dir auch machen.“

Nun, auf den Mund gefallen ist die Rasierklinge nicht, im Gegenteil, sie schreit und mault, was das Zeug hält, findet sich mindestens so schön wie Beyoncé („Beyomcee“) und verteilt Beziehungs- und Kosmetiktipps, gern an Fußballerfrauen. Baydars Darstellung der Jilet-Ayşe mag auf den ersten Blick allzu wild daherkommen, ihr Sprachwitz und die bisweilen enorm übertriebene Teilung der Teenager-Wahrnehmungswelt in „wir Schönen“ (sie, die Community, Beyoncé) und „ihr Komischen“ (die Deutschen) sind durchaus unterhaltsam.

Schwule im Schönheitssalon

Dumm ist Jilet-Ayşe aber nicht, sagt Baydar, sie lebe nur in einer Welt, in der sie ihr Potenzial nicht entfalten könne. Jilet-Ayşe macht sich Gedanken über die Welt, Politik und das Zusammenleben, sie verteidigt die türkischen Gezi-Proteste und Homosexuelle, zumal diese im Schönheitssalon besser schminken und Augenbrauen zupfen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

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