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HVOB: Im Dreiklang der Disziplinen

(c) HVOB/Lukas Gansterer
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Das Elektroduo HVOB hat sein zweites Album, „Trialog“, fertig. Das Konzept war von Anfang an klar, nur wie es klingen sollte, wussten die beiden Musiker nicht.

Der Vorhang im Jerusalemer Tempel galt als biblisches Sinnbild für die Trennung Gottes vom sündigen Menschen. Als Jesus am Kreuz starb, „riss der Vorhang des Tempels von oben bis unten entzwei“ (Matthäus 27,51). Dieser geteilte Vorhang steht für einen Stellvertretertod, der die Menschen von ihrer großen Schuld reinigt, sofern man an die theologischen Ideen von Opfer und Sühne glaubt. Warum der fromme Einstieg? Weil es auch ein Bild ist, das Anna Müller, der Stimme des elektronischen Duetts Her Voice over Boys (HVOB), den Impuls zu einem neuen Text gegeben hat. Wie auch 300 Jahre vor ihr schon Johann Sebastian Bach, nur tanzbarer und ohne Chor. War es damals die „Matthäus-Passion“, ist es heute die erste Single des zweiten HVOB-Albums, „Trialog“. Die Nummer heißt „Azrael“, sie besingt den Tempelvorhang. Vertont wurde sein Reißen mit einem Packen Juwelierseide, „einem dünnen, tollen Papier. Um diesen Prozess dreht sich alles auf dem Track“, erzählt sie selbst. „Azrael“ klingt reduziert, sehr nackt und roh – für die Sängerin ist es das spannendste Kapitel des Albums. Auch wenn das sakrale Thema „vielleicht ein bisschen dramatisch ist“.

Kunst im Trialog. Viel mehr hat das Konzeptalbum aber nicht mit dem Lamm Gottes zu tun. Es ist sehr weltlich, verarbeitet physikalische Prozesse im Bermudadreieck von Musik, Video und bildender Kunst. Es geht um das Reißen, Mischen, Platzen, Schmelzen, Oxidieren, Brechen, Implodieren, Ätzen, Biegen und Brennen – zehn Abläufe für zehn Tracks. Das „Trialog“-Konzept steht auch für den Schaffensprozess zwischen allen Disziplinen: der auditiven (HVOB), der visuellen oder digitalen (Lichterloh) und der künstlerischen oder analogen Ebene (Clemens Wolf). „Die Idee dabei war nicht, dass jeder sein Süppchen kocht, sondern, dass alles miteinander und durcheinander entsteht“, erzählt Clemens Wolf. Der Künstler hat sich auf Malerei und Installationen spezialisiert, viel Aufmerksamkeit bekamen bisher seine Zaunvariationen. Bei HVOB ist er der analoge Teil des Albums. Er komponierte aus den Liedern zusammen mit den Visualkünstlern von Lichterloh eine Installation, die gleichzeitig als Artwork diente. 

Der Erweckungsmoment für diese fächerübergreifende, gut verkopfte Idee waren drei Fragen: Was macht ein Album aus? Was macht es aus, ein Album zu produzieren? Welche Parallelen ergeben sich hier zu anderen künstlerischen Disziplinen? „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass alle Ebenen, auf denen wir operieren, eine bestimmte Analogie haben: einen Prozess, den man startet und der sich dann verselbstständigt.“ Ein Künstler setzt ein Initial – er wirft zum Beispiel einen Spiegel zu Boden –, aber wie der Prozess weiterläuft – also wie der Spiegel zerfällt –, kann er nicht steuern. Und im Fall von „Trialog“ waren es eben nur dieser eine Spiegel, der in seinem Atelier brach, und diese eine Styroporplatte, die verätzt wurde, und das Seidenpapier, das Risse bekam. Aus den Geräuschen und Bildern entstanden dann je ein Lied, ein Video und ein Teil der Installation. „Du siehst im Video quasi den Moment, in dem der Sound entsteht und Anna die Idee zum Text hat“, kürzt es Wolf ab. Er lobt diese kleinen Momente, die magisch werden. Wenn sich etwa ein Fahrradschlauch aufbläht, bis er platzt.

(c) Clemens Wolf

Budgetfreundliche Bilder. All diese Prozesse wurden im Kollektiv abgewickelt, ein Miteinander, das dem gemeinsamen Werk übergeordnet war. Was abstrakt klingt, wurde in zwei Drehtagen in Wolfs Atelier in Rudolfsheim-Fünfhaus umgesetzt und aufgenommen. Für die Verbildlichung waren die genannten VJs Christoph Schmid und Clemens Gürtler zuständig. Nachtschwärmer kennen sie als Lichterloh, unter einem Namen, der sie seit einigen Jahren schon dunkle Clubwände und Djs einfärben ließ. Lichterloh arbeiten zwar schon lang mit HVOB zusammen, dieses Mal wurde es aber intensiver als üblich. Gürtler erinnert sich an den Beginn des Projekts: „Es war klar, dass wir zehn Abläufe für zehn Tracks brauchen, die viele Aufgaben erfüllen. Sie sollten emotional sein, gute Bilder geben, zu denen man Sound und Text machen kann.“ Ursprünglich hatte das Kollektiv aus 20 bis 30 natürlichen Prozessen ausgewählt. Umsetzbarkeit und Budgetfreundlichkeit wären ausschlaggebend gewesen. Dass es sich größtenteils um dekonstruktive Prozesse handelt, sei nur ein Zufall. Es sollte in keine morbide Richtung gehen. Auch wenn sich ein Stoff komplett aufgelöst hat, gehe es um das Bild, das am Ende bleibt. Explodiert ist den zwei Ateliertagen nichts: „So gut das auch in Slow Motion aussieht, so oft hat man es auch schon gesehen“, argumentiert Lichterloh. Und Anna Müller hätte wenn, dann am liebsten gleich ein Auto explodieren lassen, was aber tendenziell budget-
unfreundlich gewesen wäre.

Neue Wege. Während sich Spiegel und Papier fast von selbst zerstören, muss man für die Musik mehr Aktionen setzen. Paul Wallner ist für die Klangwelt von HVOB zuständig, das knisternde Styropor gefiel ihm mit am besten. Er beschreibt diese Form der Albumproduktion als Herausforderung: „Tracks rund um diese Geräusche zu bauen und so die Identität des Soundgewands zu schaffen“, das war für ihn neu. Bildlich meint er, „da muss man (in den Tonspuren) schon mehrere Spiegel zerbrechen, und jener, der am schönsten fällt, mit dem arbeitet man dann weiter“. Neu ist vielleicht generell diese synchrone Kombination aus Musik, Visuals und bildender Kunst. Die Schmelze der ersten beiden Komponenten kennt man schon von Pfadfinderei, Modeselektor und anderen, aber ein Kunstwerk, das eine Platte begleitet, damit weiten HVOB ihre Zielgruppe um das Kunstpublikum aus. Deshalb reiste das Duo auch nicht nur mit ihrem Schlagzeuger und Lichterloh von Beirut (wo sie ihren alten Fan, den libanesisch-französischen Modedesigner Elie Saab in der ersten Reihe trafen) über Johannesburg (wo sie über 500 Gäste nach Hause schicken mussten, weil der Platz fehlte) bis nach Hongkong (wo sie vorher überhaupt noch nie waren), sondern auch zu internationalen Kunstmessen. Und wer weiß, vielleicht setzen sie ihre Dreifaltigkeit beim nächsten Album schon live als Quatralog um.

Tipp

Das interdisziplinäre Album „Trialog“ ist in Österreich am 17. April erschienen. Ein Mix des Duos ist derzeit auch im Rahmen der Serie „Mixtate“ im Londoner Museum Tate Modern zu hören. Alle Konzerttermine auf www.hvob-music.com.

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