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Donaufestival: Im Reich der Ohrenstöpsel

(c) David Visnjic / Donaufestival
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»Rebuilding The World« ist heuer Motto beim Donaufestival in Krems: Geboten werden verstörende, kluge Performances. Dazu viel, zu viel Musik, die vor allem laut und böse sein will.

Aufgrund der elektromagnetischen Strahlung, die drahtlose Geräte an diesem Ort im Rahmen einer künstlerischen Intervention verursachen, empfehlen wir, den Aufenthalt in der Installation entsprechend kurz zu halten.“

Diese Inschrift empfängt den Besucher des Donaufestivals am Eingang der Halle, in der Mario de Vega seine Installation „Dolmen“ zeigt. Wer dennoch gehörig respektvoll die Halle betritt, sieht ein riesiges metallenes Objekt, das wie ein umgestürzter Sendemast aussieht. Es britzelt, wummert, kreischt. Kaltes weißes Licht blitzt. Schnell wieder hinaus! Draußen, im Dunkel des Gangs, fühlt sich der schreckhafte Besucher leicht unwohl: Liegt's an der Strahlung? Oder doch nur am Kohlenhydrat-Schock durch die festivaltypischen Schnitzelsemmeln?

Nein, ängstlich darf man beim Donaufestival nicht sein. Oder soll man? Auch heuer spielen etliche Installationen und Musikaufführungen mit der Angstlust: Gleich passiert etwas, das einen verstören, traumatisieren kann, das Augen und Ohren bedroht! Im Arkadenhof bei der zum Klangraum umfunktionierten Minoritenkirche hat Bernhard Hammer seinen „Upper Classroom“ aufgebaut: einen kubischen Raum, in dem an die 20 Besucher Platz finden, dazu ein riesiger Luftballon, der schwillt und schwillt, während Stimmen befehlen: „Bitte steh auf und falte deine Hände!“ Niemand steht auf. Der Ballon schwillt. Wenn er platzt, wird's laut werden, hat man am Eingang erfahren, man möge Ohrenstöpsel verwenden, den Mund offen halten, um das Trommelfell zu schonen. Manche kichern nervös, Pärchen halten einander an den Händen. Dann platzt er, und es hat gar nicht wehgetan. Ein kluges Spiel mit der Spannung. Nur warum das eine „theatrale Installation zur Elitenbildung im Spätkapitalismus“ sein soll, erschließt sich nicht. Wäre der Ballon, wenn schon kapitalistisch, nicht besser als Spekulationsblase zu interpretieren?

Rätsel bleiben, und das ist gut so. Auch bei „100 Big Entrances“ von Michael Portnoy: Der Performer erhält – oft poetisch und witzig formulierte – Anweisungen, wie er, begleitet von Pauken, die Bühne betreten soll, bald glanzlos, bald „wie Olivenöl“, bald, als ob er „den tückischen Raum des Marktes“ betrete. Er tut all das brav und geschickt, doch auf einmal mischt sich die Anweiserin ein, mimt stöhnend eine Geburt, den ersten Auftritt des Menschen. Später liegen alle auf dem Boden und zucken. Ein Spiel im Sinn Samuel Becketts, eine kluge Verunsicherung: Welche Rollen spielen wir? Wie performen wir? Und auf wessen Geheiß?

Rimini Protokoll. Diese Frage, nur viel konkreter, stellt auch „Situation Rooms“ von Rimini Protokoll: ein Spiel für 20Teilnehmer, die – gesteuert durch iPads und Kopfhörer – in einem liebevoll aufgebauten Parcours durch die Welt des Waffen- und Drogenhandels gehen. Einmal ist man z.B. ein von Splittergranaten Verletzter, dann der behandelnde Arzt, dann bei einem Schweizer Rüstungskonzern, dann ein Vertreter der Deutschen Bank und damit in der Produktion von Streumunition finanziell engagiert. Man verlässt das Spiel nach 80 Minuten überfordert, verwirrt. Und mit dem Gefühl, das Bob Dylan so schön ausgedrückt hat: „Sometimes I think this whole world is one big prison yard, some of us are prisoners, the rest of us are guards.“ Was hat man dazu getan, eher Wächter als Gefangener zu sein? Kann man etwas tun, um beide Rollen abzuschaffen? Und was?

„Rebuilding The World“ ist heuer das Motto des Festivals, es solle helfen, „die starren Systeme in unseren Köpfen und Herzen zu zertrümmern, um aus dem Schutt eine utopische Welt zu bauen“, schreibt Intendant Tomas Zierhofer-Kin. Große Worte. Dass er wieder einmal den Reverend Billy mit seinem „Stop Shopping Choir“ auftreten lässt, zeigt, dass er auch die Selbstironie nicht scheut. Denn dieser US-Performer, der mit Gospel-Predigten zu Themen wie „Monsanto is the devil“ reaktionäre amerikanische Geistliche persifliert, wirkt in Europa, wo man diese nicht kennt, eher wie eine Parodie auf sektiererische Linke, die für alles eine einfache Patentlösung haben.

Und das Musikprogramm? Zumindest am ersten Tag: Laut, laut, laut. Böse, böse, böse. Und damit ziemlich fad. Das alte Höre-mit-Schmerzen-Theater halt. Und die alte Attitüde: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Wer z.B. Ben Frosts von jähem weißem Licht durchzuckte Donnergott-Exzerzitien tapfer ertragen hatte, verließ den Stadtsaal sichtlich stolz. Und ging vielleicht auf eine Schnitzelsemmel. Rebuilding the world.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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