Pop

Im Hinterzimmer der Liebe

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Beth Hart, Blues-Göttin aus den USA, zelebrierte bei ihrem lang erwarteten Wien-Debüt die Euphorie der Verzweiflung.

Schmutzige Partikel stellten sich der traurig-stolzen Melodie in den Weg. Die vier Musiker tändelten mit zartem Feedback, brachten winzige Soundeffekte auf ihren Weg. Und dann war sie plötzlich da: Beth Hart, die derzeit aufregendste Stimme Amerikas. Die Köpfe reckten sich ihr entgegen, als sie den Saal von hinten durchmaß, das resignative „Don't Explain“ auf den Lippen.

Ja, sie trügen und trösten, die Worte, also lieber gar nichts hören wollen vom Ehebrecher, der morgens mit Lippenstiftspuren am Kragen nach Hause kommt. „Hush now, don't explain, just say you'll remain.“ Dieser schmerzverliebte Text stammt von Billie Holiday. Es ist ein Song aus 1944, der die positive Umdeutung von Ohnmacht in ewige Worte fasst. „I know you cheat, right or wrong, don't matter, when you're with me, sweet.“ Beth Hart seufzte, schnurrte und ächzte wie jemand, der solche Szenarien dutzendfach durchlebt hat. „Don't Explain“ war auch der Titel der ersten von zwei superben Kollaborationen mit dem Gitarristen Joe Bonamassa. Zwei Alben voll beseelter Coverversionen, die Hart nach längerer Durststrecke wieder auf die Landkarte des Pop brachten. Bei ihrem Debüt im zum Bersten vollen Wiener Konzerthaus ging es allerdings vorrangig um die eigenen Lieder dieser von Schicksalsschlägen, Drogenexzessen und einer bipolaren Disposition gebeutelten Künstlerin.

Aus Unglück wird Fügung

Das bissige „Get Your Shit Together“ machte den Anfang. Harts bluesgetränkte Songs beschreiben meist wundersame seelische Transformationen. Was in ihren Szenarien zunächst als Unglück erscheint, decouvriert sich darin nicht selten als Fügung, die zu höheren Einsichten führt. Bittere Erinnerungen, die sich letztlich als Rettungsringe erweisen. Die Heldin des elegant groovenden „Tell Her You Belong to Me“ findet sich mit der Misere nicht ab, sondern fordert kämpferisch ein Bekenntnis. Nicht alles aus ihrer Feder hatte diese Qualität. Trivialitäten zu den Themen Gott und Familie trübten den Gesamteindruck etwas. Mit äußerst intensiven Interpretationen von Brook Bentons „I'll Take Care of You“ und Ike & Tina Turners „Nutbush City Limits“ machte sie die wenigen indifferenten Momente aber locker vergessen.

Absolutes Highlight war ihre fast zehnminütige Version von Etta James' Ballade „I'd Rather Go Blind“. Erneut ein Besuch im Hinterzimmer der Liebe, ein musikalisches Flehen im Salon der Verlustangst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2015)

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