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Bei Bob Dylan beginnt die Reise am 5. Mai

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Das ultimative Mailied des Pop muss erst geschrieben werden. Einstweilen ist es von Pink Floyd.

„It's the first of May, outdoor f**king starts today.“ Diesen derben Reim hat 2003 der Ex-Programmierer Jonathan Coulton, ein Verfechter der schrulligen Geek-Kultur, als Refrain eines Songs verwendet – und später als „schoolyard rhyme“ bezeichnet. Tatsächlich kommt das Sprüchlein, komplett mit dem Ruf „Hurray“, schon in der „Illuminatus!“-Trilogie von Robert Shea und Robert Anton Wilson (1969–1971) vor.

Es mag ein wenig peinlich sein, eine Fußnote zum Mai in der Popmusik just mit dieser Obszönität zu beginnen, es gibt eine schlichte Rechtfertigung: So nahe Pop als programmatisch jugendliche Kunstform den Frühlingsgefühlen ist, so selten kommen die einschlägigen Monate in den Texten vor. Gut, „April, come she will“, und „May, she will stay“, heißt es bei Simon & Garfunkel, aber auch das ist ein alter Kinderreim. Von den Bee Gees und James Taylor gibt es Songs namens „First Of May“, aber beide sind poetisch schwach. Spannender ist „Month Of May“ von Arcade Fire, in dem ein „violent wind“ die Drähte verweht und das lyrische Ich inspiriert: „If I die in the month of May, let the wind take my body away.“

In Bob Dylans „Isis“ bricht der Erzähler in ein „wild unknown country“ auf, um sich dort u.a. als Grabräuber in vereisten Pyramiden zu versuchen und endlich zur Frau zurückzukehren. Mit der Zeile „I married Isis on the fifth day of May“, beginnt der rätselhafte Song, er endet mit Mairegen: „I still can remember the way that you smiled, on the fifth day of May in the drizzling rain.“

Im Mai 1967 erschienen ist „See Emily Play“, die zweite Single von Pink Floyd. Der Song atmet die morgendliche Luft des psychedelischen London: die Beschwörung einer verwirrten Märchenwelt, in der immer Gegenwart herrscht. Es beginnt mit einer jubilierend aufwärts gleitenden Gitarre, „There is no other day, let's try it another way, you'll lose your mind and play, free games fo May“, singt der später dem Irrsinn verfallene Syd Barrett im Refrain. Bis heute klingt das kindlich unschuldig und trotzdem unheimlich.

Was ist der Antipode zum Mai? Der erwähnte Abzählreim-Song von Simon & Garfunkel endet im September, mit dem Erkalten der Liebe. Im „September Song“ von Kurt Weill und Maxwell Anderson, interpretiert u.a. von Frank Sinatra und Lou Reed, heißt es: „It's a long way from May to December.“ Der Mai als Monat, auf den Menschen mit der größten Sehnsucht zurückblicken: „Der Mai ist vorbei“, hieß ein Roman von Peter Henisch, das meinte den Mai 1968, der Satz passt auf jeden Mai. Das ultimative Mailied des Pop muss noch geschrieben werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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