Melody Gardot: ”Ich rede mit jedem Menschen“

(c) Decca Black/Universal Music.
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Ein Auto fuhr Melody Gardot beim Radfahren an, sie wurde schwer verletzt. Musik hat sie gesund gemacht. Ein Gespräch über Entdeckungsreisen.

Melody Gardot hat in den letzten sieben Jahren Weltkarriere gemacht. Praktisch vom Spitalsbett aus. Sie wurde als Radfahrerin von einem Wagen angefahren und schwer verletzt. Eineinhalb Jahre Musiktherapie machten die einstige Amateurmusikerin wieder gesund. Sie entschloss sich, ab sofort nur mehr Musik zu machen, und entwickelt mit ihrem Debüt „Worrisome Heart“ eine ganz eigene musikalische Sprache. Jedes ihrer Alben zeigt neue Facetten ihrer Persönlichkeit. Das nun erscheinende „Currency Of Man“ überrascht mit zarten elektronischen Elementen und damit, dass die Liebe diesmal weiter gefasst ist. Gardot legt den Fokus auf harsche Schicksale, Menschen, die als Außenseiter definiert werden. Im Juli gastiert die Amerikanerin in Wien.


Ihr neues Album nennt sich „Currency Of Man“. Um welche Art von Währung handelt es sich da?
Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Das soll jeder für sich selbst bestimmen. Für mich hat es natürlich schon eine bestimmte Bedeutung. Es geht um den vermeintlichen Wert einer Person. Meine neuen Lieder handeln größtenteils von Menschen, von denen die Gesellschaft sagt, sie seien nicht wichtig. 

Machten Sie eine Art Feldforschung dazu?
Nein. So arg auch wieder nicht. Ich habe genug Lebenserfahrung, um ein Statement dazu abgeben zu können. Ich rede von Natur aus mit jedem Menschen. Oft auch mit Obdachlosen und ganz Armen. Es kann fast jedem passieren, dass er in eine Notlage gerät. Vielleicht klingt das kitschig, aber meine Meinung ist, dass jeder auf seine Weise schön, jeder wertvoll ist.

Jedes Ihrer Alben klingt komplett anders. Diesmal tönt es sehr erdig und bluesbetont. War das eine bewusste Entscheidung?
Jede neue Einspielung ist ein Experiment. Ich freue mich wie ein Kind über jede neue Idee. Was daraus wird, weiß ich selbst erst am Ende. Pläne würden nur die Spontanität töten. Mit Larry Klein und meinen Musikern zu arbeiten, das passiert ganz organisch. Wir legen uns keine Konzepte zurecht.

Clément Ducol, Arrangeur und Musiker, ist neu in Ihrer Mannschaft. Wie kamen Sie auf ihn?
Clément habe ich bei den Aufnahmen zu einem Nina-Simone-Tribute-Album kennengelernt. Er ist ein erstaunlich ideenreicher und völlig verrückter Musiker. Er hat damals alle Arrangements gemacht. Das Album ist wirklich gut geworden, was keine Selbstverständlichkeit ist, wenn so große Künstlerinnen wie Nina Simone neu interpretiert werden.

Mit dem ehemaligen Ehemann von Joni Mitchell, dem Bassisten und Produzenten Larry Klein, haben Sie schon öfter gearbeitet.
Er macht die Aufnahmen zu einem wirklich offenen Prozess. Wir haben jedes Mal einen neuen Ansatz. Formelhaftes verabscheut er.

Kamen deshalb diesmal auch elektronische Sounds aufs Menü?
Das ergab sich einfach dadurch, dass ich bei den ersten Proben eine Gitarre der Marke Byrdland Gibson spielte. Das brachte uns auf den Geschmack. Für mich war es eine Entdeckungsreise. Davor habe ich eigentlich noch mit einer E-Gitarre improvisiert. Mit ein wenig Tequila habe ich mich locker gemacht, dann herumgespielt.

Ziemlich geheimnisvoll klingt „March For Mingus“. Ist das eine Verneigung vor dem großen Jazzbassisten Charles Mingus?
In gewissem Sinne ja. Es ist aber nur ein Ausschnitt eines Stücks, das ich zu einem früheren Zeitpunkt gemeinsam mit Charnett Moffett ausgeheckt habe. Bei der Aneinanderreihung der neuen Songs brauchte ich einen Übergang zwischen „No Man’s Prize“ und „Preacherman“. Da war dieses Kleinod ideal.

Beth Hart hat Ihren Song „Your Heart Is As Black As Night“ neu interpretiert. Was sagen Sie zu Ihrer Lesart?
Ich liebe ihre Stimme. Sie hat es besser als ich gesungen. Bei ihr klingt es ein wenig nach Janis Joplin. Manchmal denke ich, dass es besser wäre, wenn andere meine Lieder singen würden und ich mich aufs Komponieren beschränken würde.

Gibt es ein Lied auf „Currency Of Man“, das Ihnen besonders viel bedeutet?
Nein. Alle sind mir gleich wichtig. Aber beim Abhören des gesamten Albums fiel mir ein Song auf, der mich vielleicht doch mehr als die anderen für sich einnahm. Es war „Burying My Troubles“, ein Stück, das nur in der erweiterten Version des Albums enthalten sein wird. Es handelt davon, wie sich Menschen in Süchten verlieren.

Tüfteln Sie viel im Studio oder verfolgen Sie eine First-Take-Ideologie?
Das kommt auf meine momentane Verfassung an. Dieses Mal war vieles gleich im ersten Anlauf so gut, so lebendig, dass wir es nahmen. Coole Sache. Zudem haben wir analog aufgenommen. Das klingt einfach wärmer. Außerdem gibt es keine Entschuldigungen. Was immer im Raum ist, erklingt. Ich bin kein Fan von Overdubs, von nachträglichen Bearbeitungen. Wenn man genauer hinhört, kann man uns an gar nicht so wenigen Stellen husten hören.

Werden Sie von den Räumen, in denen Sie singen, auf irgendeine Weise beeinflusst?
Natürlich. Musik ist stets eine Angelegenheit, die Energieaustausch zwischen Publikum und Bühne voraussetzt. Und da spielt klarerweise die Art des Raums, die Atmosphäre, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das fühlt man von den ersten Sekunden an und trifft danach seine Entscheidungen bezüglich Tempo und Klangfarbe.

Bevorzugen Sie Konzertsäle oder Festivalbühnen?
Ich mag beides. Aber für mich hat es einen besonderen Reiz, wenn das Publikum während des Konzerts Alkohol trinkt. Die Leute können sich dann besser entspannen und meine Musik mit mehr Hingabe hören. In steiferem Ambiente muss man immer erst einen gewissen Bann brechen. Das kann zuweilen länger dauern. Bei Festivals sind die Menschen für gewöhnlich offener.

Von hoher Dramatik ist das melancholische „If I Ever Recall Your Face“, das vom Thema ein wenig an W. B. Yeats‘ „Before The World Was Made“ erinnert. Was inspirierte Sie dazu?
Im Grunde waren es die Verlockungen, die so ein Künstlerleben mit sich bringt. Nur zu leicht kann man in einen Strudel geraten, wenn man ein halbes Jahr von zu Hause weg ist. Neue Liebhaber sind da nur eine Facette. Es geht darum, was bleibt, bei aller Flüchtigkeit. Für diesen Text habe ich vier Szenarien angerissen. Jede Strophe handelt von einer anderen Person. Die letzte von meinem Großvater.

Sie haben in den letzten Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht. Was ist Ihre Definition von Erfolg?
Glücklichsein. Das sollte jeder Mensch anstreben. Dafür muss man keine Künstlerin sein. Diesen Zustand kann man auch als Floristin erreichen. Vielleicht sogar leichter.

Der Autor reiste auf Einladung von Universal nach Paris.

Tipp

Melody Gardot. Live: 4. Juli 2015, Wiener Staatsoper beim Jazz Fest Wien (Vorprogramm: Malia). „Currency of Man“ kommt bei Universal Musica heraus.

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