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Wein, Glocken, Soul: Van Morrison wäre ein guter Wiener

KONZERT ´THE NOVA JAZZ AND BLUES NIGHT: VAN MORRISON´
KONZERT ´THE NOVA JAZZ AND BLUES NIGHT: VAN MORRISON´(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Mit seinem Dauergrant und seiner immanenten Melancholie wäre Van Morrison, der große irische Grübler, ein Kandidat für die Ehrenbürgerschaft in Österreichs Hauptstadt.

Die Topografie seiner Kindheit ist jedem Fan wohlbekannt: die Cyprus Avenue, die Hyndford Street, der Plattenladen von Solly Lipsitz, das Maritime Hotel und natürlich die verschwiegenen Rendezvous-Plätzchen nahe den Strommasten. Van Morrison hat dem rauen Paradies seiner Kindheit in seinen Liedern so konsequent ein Denkmal gesetzt, dass man glauben könnte, dessen reale Orte wären Weltkulturerbe. „You can call it nostalgia, I don't mind“ sang er in „Magic Time“, schwärmte vom Teilen des Weins und vom Glockengeläut auf Straßen, die nie enden.

Van Morrisons poetische Manöver formen die Vergangenheit zu einem Idyll, das sie niemals war. Mit seinem Dauergrant und noch mehr mit seiner unstillbaren Melancholie, könnte er durchaus Wiener sein. Als der Philosoph Adorno 1967 Wien besuchte, erschrak er, weil hier Melancholie um der Melancholie willen zelebriert wird. In seinen Aufzeichnungen findet sich der schöne Satz: „Man muss altern, damit die Kindheit, und die Träume, die sie hinterließ, sich verwirklichen, zu spät.“ Die Absurdität eben dieses Zuspätkommens negiert Morrison mit immer neuen Beschwörungsformeln.

„I'll be praying to my higher self, don't let me down“, flehte er im grandiosen Medley aus „In The Afternoon“, „Ancient Highway“ und „Raincheck“. So glückten an diesem Abend tatsächlich magische Momente in der Riesenhalle. Ganz anders als bei Morrisons letztem Wien-Gastspiel vor 14 Jahren, als alle Subtilität auf immer verloren schien. Mit majestätisch tönenden Alben wie „Magic Time“ und „Born to Sing“ hat er seither gezeigt, dass immer noch mit ihm zu rechnen ist. Gerade auch, weil seine jahrzehntelangen Versuche, spirituelle Erleuchtung zu erfahren, mehr oder weniger grandios gescheitert sind. „What's the sound of one hand clapping?“, grübelte er mit glühender Stimme in „Enlightenment“, einem Rätselspruch des Zen-Buddhismus nach. Sämtliche religiösen Übungen erwiesen sich als wirkungslos für ihn: „I'm still suffering, enlightenment, don't know what it is“. Für Morrison gilt vielleicht, was der Existenzialist Albert Camus einst so formulierte: „Von der größten Hoffnungslosigkeit soll man nicht erlöst werden, denn sie ist selbst die Hoffnung.“

Eine ähnlich paradoxe Wahrheit manifestiert sich im afroamerikanischen Blues, den Morrison seit Anbeginn seiner Karriere zelebriert. Er ist der Schmerz und gleichzeitig die Erlösung davon. Morrison bellte ihn in der Wiener Stadthalle auf den Spuren von Big Joe Williams („Baby, Please Don't Go“), Sonny Boy Williamson („Help Me“) und Big Joe Turner, dessen grimmigen Reim „Flip, flop and fly, I don't care if I die“ er lustvoll variierte.

„Here Comes The Night“, rattenscharf

Mit seiner famosen Band unter der Leitung des Pianisten, Orglers und Trompeters Paul Moran kann es sich Morrison locker leisten, Lieder aus all seinen Dekaden gegen den Strich zu bürsten. „Here Comes The Night“ erklang rattenscharf, „Wild Night“ geschmeidig wie nie. Sogar ein abgespielt geglaubter Evergreen wie „Moondance“ erstrahlte in neuem Licht. Nicht zuletzt wegen der ausgezeichneten Backgroundsängerin Dana Masters: Auf „Whenever God Shines His Light On Me“ übernahm sie mit glühender Intonation den Part, den einst Cliff Richard gesungen hat. Andere Highlights: „Did Ya Get Healed“, „Days Like This“ und vor allem „Retreat and View“, ein Lied, das geschickt ein Motiv aus dem „Astral Weeks“-Klassiker „Beside You“ weiterführt. Atheistische Transzendenzerwartung – selten kam ihr Van Morrison so nahe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2015)

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