Slipknot feierte die Hölle und die Kraft der Urängste, das deutsche Zynikerkollektiv Deichkind wirkte dagegen aufklärerisch. Sonst am letzten Tag des Nova Rock in Nickelsdorf: viel metallische Hausmannskost.
Was war zuerst – die Erschaffung oder das Ende der Welt? Angesichts des Auftritts der erhaben wütenden US-Metal-Band Slipknot muss man wohl von Letzterem ausgehen. „We are killed gods“ hieß es im martialischen Opener „Sarcastrophe“. Das Paradies? Es ist stets nebenan. Also gilt es, die Hölle zu zelebrieren. Der heilige Ernst, mit dem hier die Sakramente, Heilszeichen der christlichen Kultur, mit bösem Lärm und lyrischem Gift kontaminiert wurden, ließ darauf schließen, dass Slipknot mit der Idee eines strafenden Gottes liebäugeln. „Perish the sacrament. Swallow, but nothing's forgiven“, hieß es in „The Devil in I“. Mithilfe steinerweichenden Geknatters und schauerlicher Masken schabten sie an der zivilisatorischen Hornhaut unser aller Seele. Das diabolische Gebrüll von Sänger Corey Taylor wechselte hier, auf den Schwingen einer fast lieblichen Melodie, in erstaunlich subtilen Ausdruck.
Slipknots aktuelle Maskenkollektion jagte Schauer über die Rücken. Stachelköpfe, Langnasen, von Lepra angefressene Gesichter – alles half, Seelenabgründe auch noch dem simpelsten Gemüt erreichbar zu machen. Die Lockung teufelwärts erfolgte höflich vor dem Riffmonster „AOV“: „Are you prepared to lose your fucking minds tonight?“ Ein Nein war nicht zu deponieren. Also rein in den häretischen Strudel, der den Schmerz des Seins in hohe Lust verkehren sollte! „If you're 555, I'm 666“ bekannte Taylor – in Anspielung an die biblische Zahl des Tieres – in „The Heretic Anthem“, einem ihrer Klassiker. Die die Angstlust befördernden Songszenarien spielten mit den Gravitationskräften des Ich. Mit ihrem raffinierten Ineinander von Fantasie und Wirklichkeit flirteten sie gar mit dessen Auflösung. In diesem Sinne ist ihr Projekt die perfekte Fortsetzung spätromantischer Schauergeschichten. Deren Grusel wurde ja selbst von Geheimrat Goethe gutgeheißen: „Das Schaudern ist der Menschen bestes Teil“ heißt es im zweiten Teil des „Faust“. Die herzige Angst, vor der eigenen Menschwerdung Wurm gewesen zu sein, die Taylor im rüden „Before I Forget“ beschäftigt, wäre auch idealer Untersuchungsgegenstand für Sigmund Freud gewesen, der dem Thema des Unheimlichen immerhin einen Aufsatz gewidmet hat. Die rabiate, letztlich doch auf tönernen Beinen stehende Kunst von Slipknot fußt im Sinne Freuds auf dem Wiedererwachen eines infantilen, überwunden geglaubten Realitätsverständnisses. Und so war es bei diesem Konzert , als blättere man in einem krass vertonten Bilderbuch menschlicher Urängste.
Deichkind: „Gefedert und geteert“
Gegen deren lähmende Wirkung impfte das deutsche Zynikerkollektiv Deichkind. Es setzt auf die Kraft der „Egolution“, die trotz aller Unbilden, die Gesellschaft und Natur dem Individuum aufbürden, passiert. Notfalls mit Sedierung. „Die Alte hat genervt, gib Likör“ lautet die Selbstmedikation in „Roll das Fass rein“. Kryptic Joe, Porgy und Ferris MC setzten gutgläubig auf die pflanzliche Weisheit im gegorenen Saft. Der herrlich mit vordergründigen Effekten spielende Opener „So ne Musik“ macht sich auch über die allsommerliche Festivalitis lustig: „Alle wollen den Abriss, gefedert und geteert.“
Blickte man sich um, so sah das Volk nach drei Tagen Nova Rock wirklich ein wenig derangiert aus. Doch mit aufmunternden Losungen wie „Lalala Boom – die Musik geht aus dem Leim“ glückte es rasch, die Rasselbande auf euphorischen Kurs zu bringen. Mit frecher Drehsesselchoreografie wurde in „Bück dich hoch“ zur Schleimerei in Büro und Amtsstube ermutigt. Wie von Sprechperlen gestärkt, ratterten die MCs kühne Losungen ins Mikro: „In jedem Menschen steckt ein Visionär!“, schlugen sie im bösen „Denken Sie groß“ vor. Halb wichtige Gestalten wie Reiner Calmund und Felix Baumgartner bekamen ihr Fett ab. Highlight war die minimalistische, sogar szenisch umgesetzte Techno-Delikatesse „Oma gib Handtasche“.
Motörhead: „Ace of Spades“, zitternd
Davon abgesehen dominierte am Schlusstag des Festivals klangliche Hausmannskost. Motörhead-Chef Lemmy Kilmister spielte sichtbar zitternd sein den Tod symbolisierendes Pik-As („Ace Of Spades“) aus. Seine krawalligen Songs wie „Shoot You in the Back“ und „Damage Case“ entfalteten immer noch hübsche Bugwellen vor den prall gefüllten Bierbäuchen. Im vor Fans wurlenden Open-Air-Metalstadl charmierten auch Five Finger Death Punch mit ihren knackigen Riffs auf doppelhalsigen Gitarren. Mit so lieblichen Weisen wie „Burn Motherfucker Burn“ animierte der rustikale Leadsänger Ivan L. Moody zu kehligem Massengesang. Tausende tätowierte Arme schossen in die Höhe. Man wird sich dereinst wohl zuraunen: Wer keine Peckerln hat, war nicht dabei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2015)