Rosanne Cash: „Meine Heimat ist das Moll“

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Rosanne Cash über die Anziehungskraft des Südens und den Moment, in dem sie mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert wurde.

Rosanne Cash ist weit mehr als Johnnys älteste Tochter. Ihre Marke von Country ist ein Stilhybrid, das Elemente aus Blues, Gospel und Hippie-Folk integriert hat. Mit ihrem superben aktuellen Album „The River & The Thread“ gastiert sie Ende Juli in der Wiener Arena. Mit dem „Schaufenster“ unterhielt sie sich vorab über späte Anerkennung, einer Reise in die Vergangenheit und Literatur der Südstaaten.

Ihr aktuelles Album „The River & The Thread“ gewann drei Grammys. Hätten Sie damit gerechnet?
Nun, ehrlich gesagt, mit einem Grammy schon. Aber gleich drei? Das war schon sehr aufwühlend für mich. Ich wusste natürlich, dass uns ein wirklich gutes Album gelungen war, aber das ist keine Garantie dafür, dass es auch andere ins Herz schließen. Gute Arbeit wird leider nicht immer anerkannt. Nach 35 harten Jahren im Musikgeschäft war es schon schön, diese Grammys zu be­kommen.


Wie entstand die Idee, ein Konzeptalbum über den amerikanischen Süden zu machen?
Aus unterschiedlichen Gründen haben sich unsere Reisen in den Süden in den vergangenen Jahren signifikant gehäuft. Etwa, weil die Arkansas State University das schlichte Haus gekauft hat, in dem mein Vater seine Kindheit verbracht hat. Die Leute von der Uni haben es renoviert und wollen eine Music Heritage Site daraus machen, eine Art Pilgerstätte, zu der Johnny-Cash-Fans fahren können. Sie haben deshalb die Familie gefragt, ob sie beim Fundraising und auch sonst helfen können. Dem bin ich gern nachgekommen.


Und die anderen Motive?
Der Besuch bei einer alten Freundin in Alabama und der langgehegte Geburtstagswunsch meines Ehemanns, John Leventhal, einmal den Highway 61 zu befahren. Wir pilgerten zum Grab von Blues­hero Robert Johnson, besichtigten die Tallahatchie Bridge und mein Geburtshaus in Memphis. Einmal dort, schauten wir auch im großartigen Stax Museum vorbei, das dem Südstaaten-Soul ein Denkmal setzt. Das alles war so inspirierend, dass wir begannen, Songs zu schreiben.


Waren diese Reisen ein Versuch, in die Vergangenheit zu schauen?
Auf eine gewisse Art, ja. Weil sie auch von betrüblichen Ereignissen überschattet waren. Marshall Grant, der Bassist der Tennessee Two, die meinen Vater lang begleiteten, starb während einer meiner Reisen. Das bewegte mich sehr und führte zum ersten Song von „The River & The Thread“. Es war jedenfalls nicht nur Nostalgie, die uns trieb. Es ging mir darum, alte Verbindungen zu prüfen. Ich lebe ja in New York City. Da war es für mich sehr bewegend zu sehen, wie verwurzelt ich immer noch im Süden bin. Lieder wie „Modern Blue“ und „A Feather’s Not a Bird“ behandeln diese für mich lang nicht spürbar gewesene Bindung.


Sie haben auch das Haus des großartigen Schriftstellers William Faulkner besucht, der dem Süden ja mit seinem fiktivem Landstrich Yoknapatawpha County, in dem fast alle seine Bücher angesiedelt sind, ein Denkmal gesetzt hat. Sind Sie ein Fan seiner Literatur?
Mein Ehemann ist ein beinah besessener Faulkner-Leser. Faulkner war auch Gegenstand seiner Collegeabschlussarbeit. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nur „As I Lay Dying“ von ihm gelesen habe. Faulkners Bücher, die beinah alle im imaginären Landstrich Yoknapatawpha County spielen, haben, wie mein Mann sagt, eine ähnlich mystische Qualität, wie sie der Süden auch heute noch hat. Viele reale Orte habe etwas Unheimliches an sich, das wahrscheinlich von ihrer Geschichte herrührt.


Sie treten auch in Dockery Farms auf, einer Plantage, die als Geburtsort des Blues gilt, weil dort Charlie Patton, Robert Johnson und Howlin‘ Wolf lebten. Was bedeutet Ihnen das?
Natürlich sehr viel. Wir werden „The River & The Thread“ komplett und die Songs in derselben Reihenfolge wie auf dem Album spielen. Das wird ein Fest. Amerikanische Musiktraditionalisten haben dem Mississippidelta ja unglaublich viel zu verdanken. Ich bin da keine Ausnahme.


In einem Lied bezeichnen Sie den Süden als „Vortex“. Wie meinen Sie das?
Er ist eine Art Strudel, in den wir hineingezogen werden. Wir müssen uns fragen, warum der Blues, der Gospel, der Rockabilly und der Country Pop aus dieser Gegend stammen. William Faulkner, Eudora Weltly, Walker Percy, Harper Lee, Truman Capote – all diese Autoren kamen aus dem Süden und beeinflussen die Kultur der ganzen Nation. Bis zum heutigen Tage.


Kurioserweise haben Sie Ihr allererstes Album 1978 in München aufgenommen. Wie kam das?
In meinen späten Teenagerjahren war ich viel mit meinem Vater auf Tournee. Tourmanagerin in Deutschland war Renate Damm. Wir verstanden uns so gut, dass ich sie sogar zu Weihnachten besuchte. In ihrer Wohnung in Schwabing spielte ich ihr meine ersten selbst komponierten Lieder vor. Renate vermittelte mir einen Plattenvertrag mit Ariola. Die Schnelligkeit, mit der ich im Jupiter-Studio stand, war schon ein wenig beängstigend. Aber ich wollte etwas Distanz zu meinem berühmten Vater bekommen. Und so stürzte ich mich kopfüber in diesen Abenteuer hinein. Beinah wäre ich in Europa geblieben.


Tochter eines so berühmten Mannes zu sein, war das eher Fluch oder Segen?
So ein hartes Wort wie Fluch würde ich natürlich nicht verwenden, aber es war nicht leicht, zumal ich mir für meine Lieder das gleiche Genre erwählte. Als Sohn hätte ich es aber noch viel schwerer gehabt, als ich selbst akzeptiert zu werden. 


Sie trachteten schon von Anbeginn danach, mehr als pure Countrymusik zu machen. Wie entstand Ihr Stil?
Ich wuchs im südlichen Kalifornien auf und hörte ganz viel Crosby, Stills, Nash & Young, Joni Mitchell, Flying Burrito Brothers und Buffalo Springfield. Diese jugendliche Prägung kombiniert mit meiner Liebe zu traditioneller Countrymusik à la Patsy Cline und Johnny Cash und nicht zu vergessen Ray Charles’ Klassiker „Modern Sounds In Country & Western Music“ formten mein Stilhybrid.


Vor wenigen Jahren mussten Sie sich einer Gehirnoperation unterziehen. Hat Sie diese Erfahrung verändert?
So ein massiver Eingriff verändert sicher jeden Menschen. Ich hatte schreckliche Angst, dass danach mein Gefühlsleben, meine Art ­des Musikhörens verändert sein könnten. Aber statt etwas zu verlie­ren, habe ich durch die Operation etwas gewonnen. Musik ist heute noch wichtiger für mich als davor. Ich höre viel mehr auf ihre ­Subtilitäten. Wenn man so krass mit seiner Sterblichkeit kon­frontiert wird, überlegt man sich, was einem tatsächlich wichtig­ ist.


Während Ihrer langen Karriere haben Sie stets Interesse an den dunklen Seiten der Existenz gezeigt. Woher rührt das?
Ein Teil davon ist wohl genetisch bedingt. Meinen Vater zog es auch immer zu den düsteren Aspekten des Lebens. Ich bin melancholisch, und so interessiert mich das Leid auf vielfältigste Weise. Privat höre ich viel Arvo Pärt. Meine eigentliche Heimat ist das Moll.

Tipp

Rosanne Cash in Wien: Am 27. Juli gastiert die Tochter des berühmten Country-Sängers Johnny Cash in der Wiener Arena. arenavie.com

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