Pop

Er trägt freudianische Schlapfen!

Chilly Gonzales
Chilly Gonzales(c) Chilly Gonzales
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Chilly Gonzales, der Klavierexzentriker mit dem sanften Anschlag und der spitzen Zunge, gastiert am Jazzfest Wien. Der »Presse am Sonntag« verriet er einige Geheimnisse.

Für eine simple Karriere im Pop ist dieser Mann zu klug. Und zu wechselhaft. Mehrmals hat er seinen Namen geändert, noch öfter die Genres und den Wohnort. Jason Charles Beck, 1972 in Kanada geboren, heißt derzeit Chilly Gonzales und grüßt mit „Servus“.

„Ich bin ein ungarischer Jude und weiß, dass unser beider Länder eine gemeinsame Vergangenheit hatten“, eröffnet er das Gespräch mit der „Presse“. Das macht den mexikanisch klingenden Künstlernamen nur noch rätselhafter. Wie kam er auf ihn? „Er ist von Rappern wie Method Man und Busta Rhymes inspiriert. Und ich mag es, dass mein Nom de guerre ein Element des Lächerlichen hat.“ Ungerechterweise sind viele Künstler, denen Gonzales geholfen hat, heute berühmter als er selbst. Er gestaltete Jamie Lidells feines Electro-Soul-Album „Multiply“, Leslie Feists Weird-Folk-Meisterwerk „The Reminder“ und Daft Punks Neo-Disco-Smash „Random Access Memories“ entscheidend mit. Die eigenen musikalischen Wundertüten verstreute er genremäßig so gut, dass ihm nur wenige folgen konnten. Zwei Solo-Piano-Werke, ein orchestrales Hiphop-Album und mit „Soft Power“, eine Hommage an den Soft-Rock der ausgehenden Siebzigerjahre – diese Heterogenität war für durchschnittliche Pophörer zu krass.


Jetzt: Romantik. Sein neuester Streich zielt überhaupt auf neues Publikum. „Chambers“, eingespielt mit dem Hamburger Kaiser Quartett, macht einen formvollendeten Hofknicks vor der musikalischen Romantik. Ja, was jetzt? War das gefährliche Denken von Schönberg, Varèse und Strawinsky ganz umsonst? Gonzales sieht jedenfalls mehr Parallelitäten zwischen früher Romantik und Gegenwart, ganz so, als wäre man hinter diese Moderne zurückgefallen. „Damals wurde man sich des Egos und des Phänomens der Berühmtheit bewusst. Auch in Rap und Popmusik sind Ego- und Starkult überdosiert.“

Er selbst, ein großer Charakter, flirtet bei seinen Auftritten auch mit Exzentrik. Mit seiner losen Zunge, aber auch mittels seidigem Morgenmantel samt Schlapfen. Das nennt er die Chilly-Gonzales-Extravaganza und verspricht sie auch für seinen Auftritt in der Staatsoper. „Freudian Slippers“, ein andachtsvolles Stück auf „Chambers“, verweist auf die psychischen Ursachen dieses Verhaltens. „Als Performer mache ich viel, das durch das Unbewusste gesteuert ist. Irgendetwas tief in mir treibt mich dazu an, anders zu sein als die Leute, die sonst in der Philharmonie auftreten. Dieser Titel ist ideal, weil er etwas Oberflächliches hat, aber auch etwas Profundes andeutet. So will ich auch meine Musik haben.“ Mit dem Kaiser Quartett, mit dem er erstmals bei seinem Orchestral-Rap-Projekt „The Unspeakable Chilly Gonzales“ zusammenarbeitete, sind derlei diffizile Gratwanderungen offenbar möglich. Der nach längeren Aufenthalten in Berlin und Paris derzeit in Köln residierende Gonzales setzte sich ein Jahr lang jeden Monat in die Deutsche Bahn und fuhr mit seinen neuesten kompositorischen Ideen nach Hamburg zum Kaiser Quartett. „Diese Musiker sind für mich eine Art Laboratorium. Wir probten wie die Wahnsinnigen. Nicht alles war gut. Es gab nicht so wenige entmutigende Momente, aber wir lernten einander immer besser kennen. Mir fiel Duke Ellington ein, der speziell für seine Orchestermusiker komponierte. Das habe ich dann auch versucht. Ich habe auf die Spezialitäten, aber auch auf die Schwächen der einzelnen Musiker geachtet. Man sollte nie für ein Instrument, sondern stets für eine konkrete Person komponieren.“

Ab ins Unbewusste. Mitte 2013 begannen die Aufnahmen. „Wir haben sechs Studiotage veranschlagt. Am zweiten Tag wusste ich, dass es gelingt. Ab da konnte ich mich auf meine unbewussten Strebungen einlassen, mich fallen lassen. Da war ich im Künstlerhimmel.“ Nicht ganz so himmlisch geriet 2011 die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Cornelius Meister in Wien. Bei der Vorstellung im Radiokulturhaus kam es zu Friktionen mit dem Maestro. „Das war mein erstes Konzert mit einem Symphonieorchester. Heute weiß ich, dass ich lieber mit älteren Dirigenten zusammenarbeite, die sind einfach lockerer. Ich glaube, Cornelius Meister mochte mein Image nicht. Er reagierte auf meine Ideen sehr negativ.“ Während des Konzerts unterlief Gonzales die Autorität des Dirigenten, indem er das Orchester um eine Kadenz bat, die Meister zuvor brüsk abgelehnt hatte. „Auf der Bühne muss ich einfach nach meinen Instinkten handeln. Die Musiker taten es gerne. Aber Meister warf mir diesen vielsagenden Blick zu. Ab da war es ein Kampf.“

Ansonsten kämpft Gonzales, wie viele Künstler, in erster Linie gegen sich selbst. 2009 etwa, als er, unzufrieden mit seinem Status, sich dazu entschloss, 72 Stunden lang ohne Unterbrechung öffentlich Klavier zu spielen. „Das war eine surreale Form von Entertainment. Ich wollte einfach meine Dämonen exorzieren. Danach war ich auf positive Weise traumatisiert. Diese Erfahrung leitete mich zu einer guten Phase meiner Karriere. Ich startete mein Plattenlabel, griff wieder auf meinen alten Künstlernamen Chilly Gonzales zurück. Und schwor mir, nicht mehr darauf zu schielen, was erfolgreich sein könnte.“

Ein Vorbild war ihm Glenn Gould. „Für mich übersteigt er das reine Künstlertum, er ist eine echte Ikone. Auch wegen seines rebellischen Gestus. Der Tennisspieler John McEnroe, dem ich ein Stück gewidmet habe, ist ein ähnliches Kaliber. Oder Bobby Fisher. Und Mozart, so wie wir ihn im „Amadeus“-Film von Miloš Forman gesehen haben. In diesen Menschen mischte sich das Kindliche und das Geniale. Und sie alle haben die Bedingungen in ihren Genres für immer verändert.“

Gonzales besitzt sogar einen Nachbau des berühmten Klavierhockers von Gould. „Er ist sehr niedrig. Das Original hat Goulds Vater gemacht. Am Ende seines Lebens hat er ohne Polster gespielt. Nur auf dem Holzgerippe. Super am Nachbau ist, dass die Pölster entfernbar sind. Da kann ich mich auch in sein Ende hineinimaginieren.“

Glücklich gemacht hat Gonzales, dass Apple eines seiner Stücke für eine iPad-Werbung benutzte. „Das hat bewiesen, dass ein Stück, das nur aus Fingerschnippen und Piano besteht, auch eine gewisse Modernität entfalten kann. Obwohl ich ältere Werkzeuge verwende, will ich doch als Mann meiner Zeit wahrgenommen werden.“

Programm

Jazzfest Wien in der Staatsoper:

1.Juli: The Roger Cicero Jazz Experience

2.Juli: Chilly Gonzales & Kaiser Quartett; Plaza Francia

3.Juli: Caro Emerald

4.Juli: Melody Gardot; Malia

6.Juli: Frank Sinatra Tribute mit Thomas Quasthoff, Angelika Kirchschlager, José James u.a.

7.Juli: Paul Weller; Ernst Molden

Weitere Jazzfest-Konzerte finden im Porgy & Bess und im Arkadenhof des Rathauses statt. Programm unter www.viennajazz.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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