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Tom Jones: Ein walisischer Tiger mit Elvis-Presley-Blues

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Tom Jones charmierte mit engen Hosen und rauem Pathos in der Wiener Stadthalle.

Ob Thomas Jones Woodward wohl weiß, dass er sich den Spitznamen „Tiger“ mit Gerd Bacher teilen musste? Er schwänzelt jedenfalls in Gestalt eines in die Dschungel des Rock'n'Roll ausgewilderten Ex-Staubsaugervertreters schon 75 Jahre durch die Reviere. Unter dem Künstlernamen Tom Jones wurde er zum Inbegriff einer Virilität, die Frauenbewegung nur in der Horizontalen zu gestatten schien. Dabei ist er seit 1957 mit derselben Frau verheiratet. Wie oft er den Ehekäfig temporär verließ, bleibt offen, niemand will es wirklich wissen. Jones war immer größer als die bürgerliche Moral.

Seit über 50 Jahren macht dieser liebenswerte Macho, ungeachtet des veränderten Zeitgeistes, Reklame für pelzige Männerbrüste und enge Hosen. Die Hitze aus den Hoden kanalisiert er umstandslos in die Stimmbänder. Die strahlen nach all den Jahren immer noch alttestamentarische Wucht aus. Peter Sullivan hat Jones' gesangliche Dynamik auf dem Cover von „Along Came Jones“, dem 1965 veröffentlichten Debütalbum, mit einer rasanten Sportwagenfahrt verglichen. Auch heute besticht dieses eindrucksvolle Organ mit eleganter Kurvenlage in allen Genres. Salopp reihte Tom Jones Rock'n'Roll, Gospel, Country, Pop und Soul aneinander, ließ sie manchmal sogar verschmelzen.

Derzeit befasst sich der aus dem walisischen Städtchen Pontypridd gebürtige Sänger offenbar mit Fragen des Ablebens. Sein bejubelter Auftritt begann mit einer giftigen Interpretation von John Lee Hookers Zweiflerhymne „Burning Hell“, die um die Frage kreist, wohin es denn nach dem Tod gehen könnte. Dazu leckten die Flammen des Höllenfeuers bedrohlich über die Leinwand.

„Sex Bomb“ mit langem Intro

24 Lieder später gab es Entwarnung: Jones' fröhliche Lesart von Sister Rosetta Tharpes Gospel „Strange Things“ führte himmelwärts. Die Fans waren da längst in Ekstase. Was für sie sprach. Denn Tom Jones fordert sein Publikum gern, indem er seine Hits einer radikalen Neudeutung zuführt. „Sex Bomb“ etwa startete er mit einem langen, souligen Intro, ehe es die agile Bläsersektion in einen wuchtigen Swing überführte. Sein patinierter Hit „Delilah“, den man hierzulande zu Recht auch in der Version von Peter Alexander liebt, wurde mit viel Ziehharmonika in Richtung Zydeco interpretiert. Dieses in der Popmusik nicht exzessiv eingesetzte Instrument sorgte auch in „It's Not Unusual“ für einen neuen Twist. Der geliebte Hadern verwandelte sich in einen melancholischen, dennoch leichtfüßigen Musette-Walzer. Höchst artistisch urbanisierte Jones Countryschnulzen wie „I'd Never Fall In Love Again“ und „Green Green Grass Of Home“. Sein Balladenpathos verzierte er mit Koloraturen der Ekstase.

Dass er immer noch ein Ungezähmter ist, bewies Jones im rau dargebrachten „Elvis Presley Blues“ von Gillian Welch. Presley war sein frühes Idol, wobei es eine gewisse Sprachbarriere zu überwinden gab. In „Heartbreak Hotel“ glaubte der Waliser „Salome baby“ zu hören. Es dauerte, bis er bemerkte, dass Elvis „So lonely“ sang. „Suddenly the song started to make sense“, jubelte er damals. Später, im Sündenpfuhl Las Vegas, wurde ihm Elvis zum guten Freund: „He was all alone in a long decline“, sang Jones zu kargem Zwitschern der Gitarren. Solche Trauer erlaubte keinerlei Rhythmus. Den sparten sich Jones und seine formidable Band für Songs wie „Why Don't You Love Me“ auf, in dem er dem störrischen Verhalten der Angebeteten mit einer Mischung aus Humor und Sentimentalität begegnet. Tom Jones hat, wie er in diesem Song erwähnt, immer noch blaue Augen, aber blauäugig ist er nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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