Pop

Massenekstase wie selten zuvor

June 30 2015 Milan Italy The Jamaican reggae singer Damian Marley also known as Junior Gong pi
June 30 2015 Milan Italy The Jamaican reggae singer Damian Marley also known as Junior Gong piimago/ZUMA Press
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Damian Marleys inspirierter Auftritt überstrahlte alles andere auf dem heurigen Sunsplash in Wiesen. La Brass Banda, Jan Delay und Nneka zauberten aber auch Sonnenschein in die Herzen.

Dieser Tage ein Reggaefestival zu programmieren ist keine leichte Sache. Das Genre hatte seine Hochblüte in den Siebzigerjahren. Die meisten seiner charismatischen Musiker haben bereits im gelobten Land eingecheckt. Natürlich hat es im Bann neuer Technologien auch Weiterentwicklung gegeben. Ein Fortschritt war diese nicht immer.

Und doch tauchen immer wieder interessante neue Künstler auf. Kurioserweise kommen einige der Interessantesten aus Deutschland. Patrice Bart-Williams, Ayo und eben Nneka. Aufgewachsen in der Flussstadt Warri in Südnigeria, kam sie mit 18 Jahren nach Hamburg. Mittlerweile macht sie Liederabende in den prestigeträchtigsten Konzerthallen der Welt. In Wiesen präsentierte sie sich kämpferisch. Bewehrt mit einer schmucken E-Gitarre, aus der sie glockenhelle Licks zauberte, las sie den Hiesigen die Leviten.

In ihrem zornigen Sermon klagte sie über die Menschenopfer, die rassische und religiöse Verblendung immer noch fordern. „Man muss sich selbst ändern, damit etwas anders werden kann“, rief sie, ehe sie von einer funky gespielten Orgel wieder auf musikalische Pfade geschickt wurde. „The Uncomfortable Truth“ hieß das Lied, dessen knappe Botschaft lautete: „So let us make a change.“ Diese Art von Weltverbesserungslyrik mochte manchen nerven. Die lasziven Liebeslieder machten es wett. Selbst zynische Hörer verliebten sich in Nnekas Idee, dass Pubertät niemals zu Ende gehen müsste. Wenigstens nicht auf amourösem Terrain. Der zarte Puls von Liedern wie „Heartbeat“, „Babylon“ und „Soul Is Heavy“ erzeugte schönste Gänsehaut.

Die ihr nachfolgende Turbo-Ska-Blaskapelle La Brass Banda dealte mit einer anderer Art von Epidermis, nämlich der Hornhaut. Bloßfüßig standen da neun Stück bayrischer Burschen auf den Brettern. Die allerorts angeprangerte Effeminiertheit des neuen Mannes, hier war sie nicht zu sehen. Auf Raffinesse geben die Anarchos von La Brass Banda wenig bis nichts. Ihnen geht es darum, die Seppelhosen und die Blasinstrumentattacken nicht den Konservativen zu überlassen.


Publikumsdompteur. Ihr „Boarischer Techno“ fuhr gewaltig ein. Aus Daft Punks House-Hymne „Around the World“ machten sie hintersinnige Frühschoppen-Gaudi. „Mir aus Bayern könnan net so brutal singan, iss oba scheisswurscht“, kollerte es über die gespitzten Trompeterlippen von Leader Stefan Dettl. Dieser erwies sich als begnadeter Publikumsdompteur: „Acht Schritte vor und acht zurück“, wies er die Massen an. Und dann stürzten sich er und seine Meute gar mitten hinein in die Leut'. Ihr Konglomerat aus Hardrock, Soul, Techno, House, Ska und Reggae nennen sie liebevoll „Rowdy-Musi“. Mit ihrem Hit „Autobahn“ entließen die Sympathler dann zu den heftig frequentierten Labstellen.

Damit ging es in den Dämmerschoppen, den der große Damian Marley übernahm, oder Junior Gong, wie er in der Reggae-Gemeinde genannt wird. Dreadlocks bis fast an die Knöchel! Die Pflege dieser Frisur allein verlangt einen Hofstaat. Die ganz in Denim gekleideten Backgroundsängerinnen veranschaulichten die Weisheit des weiblichen Beckens. Ein Fahnenschwinger machte zu den Klängen des alten Wailers-Hits „Confrontation“ mit den Farben Jamaikas und dem Löwen von Juda bekannt. Dieses alte biblische Motiv ist für den Glauben der Rastafari essenziell. Sie haben es auf den äthiopischen Kaiser Haile Selassie übertragen, den sie wie einen Messias verehren.

Nach diesem geistlichen Präludium ging es in die Vollen. „Make It Bun Dem“, Damian Marleys jüngster Hit, den er gemeinsam mit dem Techno-DJ Skrillez ersann, peitschte auf die Trommelfelle. Der junge Marley, der elegant zwischen rauem Raggamuffin und süßem Reggae changiert hat, kann auch politisch sein. Das anklagende „More Justice“ ging zurück an die Anfänge der Zivilisation und endete in den modernen Ghettos. Trotz kruder Syntax und seltsamem Pidgin-Englisch war klar, worum es diesem Charismatiker ging.

Nach einigen eigenen, kritischen Songs wie „Set Up Shop“ und „Hard Work“ servierte die großartige Band Bob-Marley-Klassiker. Das Sample einer Rede, die Haile Selassie 1968 vor der UNO gehalten hat, leitet zu „War“ über, einem seiner wirkmächtigsten Lieder. Auch Sohn Damian sang die legendären Zeilen „Until the philosophy which holds one race superior and another inferior is finally and permanently discredited and abandoned“ mit dem gefährlichen Zusatz „is war“. Dieses aufwieglerische Juwel verband Damian Marley mit „No More Trouble“.


Schweres Zepter. In seiner Brust schlagen zwei Herzen, ein wildes und ein sanftes. Balladen wie „Beautiful“ und noch mehr das steinerweichende „There for You“ zauberten Tränen der Rührung in die Augen vieler Fans. Mit mitreißenden Versionen von „Exodus“, „Get Up Stand Up“ und vor allem „Could You Be Loved“ sowie seinem eigenen Klassiker „Welcome to Jamrock“ sorgte er für Massenekstase, wie man sie in Wiesen kaum je erlebt hatte.

Jan Delay hatte es danach schwer. Es spricht für ihn, dass es ihm gelungen ist, das schwere Zepter zu übernehmen. Auch er ist ein Virtuose der Animation. Also wurde heiter herumgetobt und gefreezt, also in der Bewegung innegehalten, wenn es Delay so wollte. Lustvoll würfelte er Rock-Riffs, Reggae-Rhythmen, Disco-Beats durcheinander. An die Intensität der Marley-Performance war aber nicht heranzukommen.

Wiesen 2015

Harvest of Art.U.a. mit Bilderbuch, Wanda, Belle & Sebastian.
10.Juli.

Nova Jazz & Blues Night.U.a. mit Chic, Roisin Murphy, Sinkane. 11.Juli.

Two Days A Week.U.a. mit Iggy Pop, Kontrust, Russkaja. 17.und 19. Juli.
Mehr Infos auf
Wiesen-festivals.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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