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Das Drama der Mods, jetzt philharmonisch

Pete Townshend pr�sentiert: �Classic Quadrophenia�
Pete Townshend pr�sentiert: �Classic Quadrophenia�(c) Universal Music GmbH (Universal Music GmbH)
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Pete Townshend ließ sein Meisterwerk „Quadrophenia“ für Symphonieorchester arrangieren. Die Premiere in der Royal Albert Hall versammelte noch einmal die erste Generation der britischen Mods.

Noch das härteste Rockerherz sucht im Grunde die Anerkennung von Mama und der bürgerlichen Welt. Der Weg dorthin ist zwar mit gefährlichen Groupies und toxischen Versuchungen gepflastert, aber das muss sein, nur wer sündigt, kann Läuterung erfahren. Das hat der heuer 70 Jahre alt gewordene Pete Townshend, Symbolfigur einer ganzen Generation zorniger Männer, im Laufe seiner Karriere durchlebt. Mit seiner Band The Who erfand er den Power-Akkord, definierte seine Generation und zertrümmerte viele Gitarren. Das war für ihn schön, anstrengend schön. Dann erfand er die Rockoper, die vom Bildungsbürgertum begeistert aufgenommen wurde. Erst als Songzyklus „A Quick One“ (1966), dann, drei Jahre später, als „Tommy“: Die Geschichte vom blinden und tauben Buben, der zum Guru wird, wurde ein Welterfolg.

Paradoxerweise vergiftete dieser Erfolg das Klima in der Band, Aufputschmittel und Alkohol trugen das Ihre zur Zerrüttung bei. Townshend suchte die Erlösung davon in der Kunst. 1972 ersann er „Quadrophenia“. In die Hauptfigur, den von Daseinszweifeln gebeutelten Jimmy, projizierte er nicht nur die eigene Zerrüttetheit. Er entwarf ihn als mehrfach gespaltenen Charakter, der auch Züge der Bandkollegen trägt.

Album 1973, Film 1979

Der Plot ist schnell erzählt. Ein Londoner Jugendlicher, der sich zur Bewegung der Mods zählt, verliert seinen Job, und die Angehimmelte erwidert seine Gefühle nicht. Er droht sich im Lebensgefühl eines Misfits zu verlieren, stellt sich dann aber doch den auftauchenden spirituellen Fragen. Für die Aufnahmen ließ sich Townshend von einer arbeitslosen Zirkustruppe ein neues Studio bauen, weil er einer Torheit jener Jahre aufsaß, die sich Quadrofonie nannte. Während die Vierkanaltechnik rasch in Vergessenheit geriet, hielt sich „Quadrophenia“ (1973) gut. Obwohl zunächst nicht mit rauschenden Kritiken bedacht, entwickelte sich Townshends ehrgeizigstes Werk auch dank der Verfilmung von 1979 zum Longseller. Seit wenigen Wochen liegt es als frisch arrangierte, philharmonische Einspielung auf, jetzt war Live-Premiere in der Londoner Royal Albert Hall.

Alt sind sie geworden, die einstigen Mods. Vereinzelt aufblitzende Fred-Perry-Polos erinnerten daran, dass die versammelten Kahlköpfe und Weißschöpfe einst Protagonisten der pfiffigsten Jugendbewegung Britanniens waren. Mod zu sein, das hieß, in der Maske des Spießigen den schönen Schein zu besudeln. Mods kamen aus der Arbeiterschaft und dem unteren Mittelstand. Sie trugen scharfe Scheitel und pelzbesetzte Parkas, warfen Amphetamine ein und fuhren italienische Motorroller der Marke Lambretta. Hinter vordergründiger Adrettheit lauerten Abgründe, die kein Doktor zu heilen vermochte.

Rockergestik und Classic Rock

„Can you see the real me, doctor?“ sang Alfie Boe, ein in Großbritannien höchst beliebter, auf Opernbühnen auftrainierter, mittlerweile an die Musicalbühnen des Westends abgerutschter Tenor. Die Fäuste zu ballen und im schwarzen Habit die Rockergestik zu üben, das taugte ihm ganz offensichtlich.

Als lebten wir noch in der Hochblüte des Classic Rock, wurde an diesem Abend mit Personal wahrlich nicht gespart. An die 200 Akteure des Royal Philharmonic Orchestra und des aus begeisterten Amateuren bestehenden London-Oriana-Chors verliehen dem alten Ungetüm dank frischer Arrangements Schwung. Schon der Beginn, das lyrische „I Am the Sea“, gewann dank der Harfen und Waldhörner an Atmosphäre. Erste Wildheit kam in „The Real Me“ auf: Der Chor lotete die Dramatik aus, trieb den da noch etwas zaghaften Alfie Boe in die wirre psychische Welt des Jimmy. Beim aufwallenden „Cut My Hair“ half ihm Rock-Urviech Billy Idol auf die Sprünge. Als Townshend für „The Punk and the Godfather“ als Ko-Sänger hereinschritt, war Boe endlich auf Betriebstemperatur. Ab nun ging es sämig in die Strudel der tückischen Affekte. Bei „The Dirty Jobs“ brandete erstmals richtige Begeisterung auf. Auslöser war Phil Daniels, der Mann, der den Jimmy in der Filmfassung verkörpert hat. Mit nachtblauem Bariton sang er die klassischen Zeilen einer Erbitterung: „My karma tells me, I've been fooled again.“ Jetzt wurden im Auditorium Gehhilfen zu Taktstöcken umfunktioniert, das verschüttete jugendliche Ich holperte wieder hervor. Alfie Boe half ihm mit butterweicher Intonation: „Just like a child I've been seeing only dreams, I'm all mixed up but I know what's right.“

So wurde im Saal aus banger Erwartung erhabene Nostalgie. Das hochfahrende „Love Reign O'er Me“ und die Reprise von „The Real Me“ schürten die Euphorie. Dirigent Robert Ziegler trug jetzt einen Parka mit dem kreisrunden Symbol der Mods, der Kokarde in Blau, Weiß und Rot. Mit dieser kleinen Geste war der Schreck über das fortgeschrittene Leben für kurze Zeit aus den zerklüfteten Gesichtern der Alt-Mods gezaubert. Man hat den Belehrungen des Schmerzes standgehalten und ist immer noch da.

Pete Townshend's Classic Quadrophenia
Wiener Konzerthaus, Samstag 31. Oktober um 20 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2015)

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