Pop

Nackt und stark: Rufus Wainwright und Angelika Kirchschlager

JAZZ FEST WIEN: KONZERT ´RUFUS WAINWRIGHT, ANGELIKA KIRCHSCHLAGER´
JAZZ FEST WIEN: KONZERT ´RUFUS WAINWRIGHT, ANGELIKA KIRCHSCHLAGER´(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Jazzfest Wien: Grandezza und Schlichtheit jenseits von Stilgrenzen: Rufus Wainwright und Angelika Kirchschlager begeisterten in der nicht gerade vollen Staatsoper – mit Liedern von Edith Piaf und Händel, Berlioz und Weill.

Ein entrücktes musikalisches Gipfeltreffen: Simpel wiegend die Dreiachteltakt-Begleitung des Klaviers, die alles grundiert. „Non, je ne regrette rien“, beteuert Rufus Wainwright nicht mit dem üblichen Trotz, sondern zärtlicher Zurückhaltung. Angelika Kirchschlager übernimmt mit der bewegend schlichten Melodie von „Lascia, ch'io pianga“ – und dann greifen beide Kantilenen als Duett ineinander, Édith Piafs Chanson ihres Lebens und Händels Hit: Zauberhaft, dieser Höhepunkt von hohem Symbolwert am Sonntag beim Jazzfest Wien in der Staatsoper.

Wainwright ist wohl ein Sonderfall des Pop. Es entfaltet einen speziellen Reiz, wie er seine Verse immer wieder um die Ecke biegt und sie der melodischen Entfaltung anpasst, wie er seinem modulationsfähigen, immer sonoren Gesang eine wohldosierte Prise Rauheit beimischt. Seine Songs klingen auf edle Weise aus der Zeit gefallen, atmen eine opernhafte Intensität – und zwar auch dann noch, wenn sie von opulenteren Arrangements auf bloßen Gesang mit Klavierbegleitung reduziert sind. Und wenn er seine aktuelle Best-of-CD ironisch als „Greatest Possible Hits“ tituliert, dann spielt das genau auf diesen Minderheiten-, meinetwegen auch Elitenstatus seiner Musik an. Doch Oper ist in vielen Fällen langlebiger als alltägliche Dutzendware, und Wainwrights Klasse besitzt klassische Ausmaße. Seine erste Oper „Prima Donna“ (inspiriert von Maria Callas) wird den Ritterschlag einer Veröffentlichung beim renommierten, freilich immer mehr neue Publikumsschichten suchenden Label Deutsche Grammophon erhalten: Deren Schlussarie „Les feux d'artifice“ klingt wie eine Wiederbelebung von Duparc mit Minimal Music, geht aber zugleich darüber hinaus. Vom Gestus her ließe Rufus Wainwright sich als ein Reynaldo Hahn unserer Tage begreifen: Der liebte es musikalisch und im Leben auch „a little bit sweeter, a little bit fatter“. Wenn Wainwright „Vibrate“ so voller Saft und, ja, vibrierender Kraft vorträgt wie hier, braucht er sich auch nicht vor der mehrfach angesprochenen Elisabeth Schwarzkopf zu fürchten, die sich im Grab umdrehen oder auf sein Scheitern bei einem bravourös lang gehaltenen Ton lauern könnte.

„Muss eine Therapie öffentlich sein?“

Als Waltraud Meier vor bald 25 Jahren unter Barenboim die Donna Elvira aufnahm, war und blieb sie skeptisch. Mozart sei gesund, beschwichtigte sie ein Kritiker. „Ja“, konterte die Meier, „aber muss eine Therapie öffentlich sein?“ Eine Therapie kann man es wohl nicht direkt nennen, wenn sich Meiers Mezzosoprankollegin Angelika Kirchschlager in den vergangenen Jahren neuen Herausforderungen zuwendet. Neben aktuellen Charakterrollen in Opern von Nali Gruber, Milhaud oder der Frau Peachum in der „Dreigroschenoper“ (im Jänner 2016 im Theater an der Wien) war sie nicht zuletzt mit Konstantin Wecker auf Tour. Nun also ist sie mit Rufus Wainwright gleichsam auf öffentlichem Urlaub – und sagt, mit ihm zu singen sei wie eine Reise nach Disneyland. An ihr muss man bewundern, wie sie sich in einer schwierigen Phase mit Neugier, aber ohne Bestemm immer wieder neu zu (er-)finden sucht, stimmliche Blessuren teils kaschieren möchte, teils zum Ausdruck nützt. Am besten gelingt das bei Weill – und in drei Nummern aus Wainwrights „All Days Are Nights: Songs for Lulu“, denen ein exaltierter Tonfall zugutekommt. Wenn gleichsam im Gegenzug er sich, unterstützt von Sarah Tysman am Klavier, an Berlioz' „Les nuits d'été“ wagt, versprüht er den Charme eines mutigen Musterschülers, der sich selbst mit glamourösen Handbewegungen dirigiert und unterstützt: Man nimmt den Willen fürs Werk. Dazu Schubert und Poulenc, Rodgers/Hammerstein – und in den Zugaben zuletzt natürlich „Hallelujah“ als Duett, spontan und gegen Kirchschlagers Rat sogar ohne Mikro: nackt, ehrlich, stark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2015)

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