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Alter Mod, Wiener Bohemien: Zeitloses in der heißen Oper

JAZZFEST WIEN: KONZERT PAUL WELLER
JAZZFEST WIEN: KONZERT PAUL WELLER(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Jazzfest Wien. Paul Weller spazierte durch gar nicht so wilde Wälder, Ernst Molden hörte den Wind in den Bäumen raunzen.

Ob sie sich noch per Vespa zum Donnerbrunnen verfügt haben, wo einst der Hauptversammlungsort der Wiener Mods war? Wild entschlossen schienen sie jedenfalls, die älteren Herren in den eng anliegenden Fred-Perry-Polos, die vor der Staatsoper ihre Begeisterung teilten: Sie hatten Paul Weller gesehen, den auch schon 57-jährigen britischen Sänger, den sie nicht nur in England ehrfürchtig den „Modfather“ nennen.

Den „godfather“, den Paten also jener Jugendbewegung, die seit den frühen Sechzigern Stilbewusstsein und Speed pries. Weller, eigentlich ein Spätgeborener, hatte ihr mit seiner Band The Jam einige rasende Hymnen geschenkt, ab 1977, in der Blütezeit des Punk. Doch das konzentrierte Koffein in Songs wie „In The City“ rettete Weller davor, als anachronistisch belächelt zu werden. Später wurde er gesetzter, pflegte mit The Style Council seine Liebe zu Melange-Jazz, Cappuccino-Blues und Con-latte-Soul, sinnierte über „My Ever Changing Moods“.

Mit diesem schönen Song endete sein bejubelter Auftritt in der Oper, mit „I'm Where I Should Be“ hatte er begonnen: Paul Weller, ein Mann, der mit sich im Reinen ist, der längst bei sich selbst angekommen ist. Von der Hektik, der Zerrissenheit seiner frühen Tage ist kaum mehr etwas zu spüren, selbst wenn ihn, wie in „Long Time“ ein schneller Stakkato-Rhythmus treibt, er bleibt ruhig. Und seltsam zeitlos. „Into the mists of time and space“ entführte er sein Publikum im Song „Into Tomorrow“, doch es ist eine alte Vergangenheit, die er beschwört: Die Musik, die er seit 1992 auf seinen Soloalben spielt, erinnert oft an den gemütlichen Rock der Siebzigerjahre, mit dem gefühligen Vibrato in Wellers Stimme, mit den Schwaden, die seine Band aufziehen lässt, mit Gitarrensolos, die über die Vergänglichkeit lamentieren wie er selbst, wenn er konstatiert: „Summer always goes so quick . . .“

Wo steht sie denn, die Vespa?

Banalitäten? Dieser hagere, beneidenswert jung aussehende Mann hat keine Angst vor ihnen, wenn er in „Going My Way“ seiner Wege geht, durch die „Wild Woods“ oder über die „Friday Street“ spaziert. Und ab und zu hört er noch die Echos des Aufbruchs, den er einst beschwor, ruft „Get up!“, „Let's go!“ oder „What you give is what you get!“ – in „Start!“, das die einzige The-Jam-Nummer des Abends blieb. Die Mods waren dennoch zufrieden: Das Leben bremst uns doch alle, und wo steht sie denn heute, die Vespa?

Eine ganz andere, sozusagen danubische Art der Zeitlosigkeit evozierte Ernst Molden im Vorprogramm. Dieser ewige Bohemien weiß von Plätzen an der Alten Donau, an denen die Seele weich wird, er hört den Wiener Wind in den Bäumen raunzen, und wenn auf der Hauptallee der Schnee fällt, reimt er „okay“ darauf und „Juche“: Der Dialekt, den er, der Großbürgersohn, singt, mag ihm eine Kunstsprache sein, aber ist das nicht jede poetische Sprache? Kritzendorf liegt am Mississippi und New Orleans am Wagram, okay; in Moldens Band kommen neuerdings ein Sopransaxofon und ein Akkordeon, zwei vorlaute, einander an sich nicht wohl gesonnene Instrumente, gut miteinander aus; und die Gelsen trinken halt noch ein Stamperl Blut. Wenn all das diesmal stellenweise ein Alzerl gar zu träge klang, lag das gewiss am Sommer. Er gehört nicht in die Staatsoper.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

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