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Patti Smith, die Pferdefrau im Land der tausend Tänze

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40 Jahre ist "Horses" alt, seit zehn Jahren spielt Patti Smith es wieder komplett live, am Dienstag in der Wiener Arena. Warum dieses Album (mindestens) eine Generation prägte.

Was für ein stolzer Aufbruch! „As for me I'm totally ready to go“, hat Patti Smith in den lyrischen Liner Notes zu ihrem ersten Album „Horses“ geschrieben; sie enden mit einer Anrufung: „Sweet angels – you have made me feel no longer afraid of death.“

Diese Engel sind keine Todesengel, ganz offensichtlich nicht. Schutzengel eher, sie schützen vor einer Todesnähe, die dieses Album durchdringt. Besser gesagt: einer Nähe von Toten. In „Horses“ finde man „unsere Verbeugung vor denen, die uns den Weg bereitet haben“, schrieb Patti Smith 35 Jahre später in ihrem autobiografischen Buch „Just Kids“, und sie nannte die Namen: „In ,Birdland‘ warten wir mit dem jungen Peter Reich darauf, dass sein Vater Wilhelm Reich vom Himmel herabsteigt, um ihn zu holen. In ,Break It Up‘ erzählen Tom Verlaine und ich von einem Traum, in dem Jim Morrison wie Prometheus gefesselt ist und sich plötzlich losreißt. ,Land‘ verschränkt die Wild-Boys-Bildwelt mit den Stationen von Jimi Hendrix' Sterben. In ,Elegie‘ sind sie alle versammelt: gegenwärtig, gestern, heute, morgen, alle, die wir verloren hatten oder zuletzt endgültig verlieren würden.“

Patti Smith war damals, 1975, gerade noch ein Twen, 29, arme Dichterin in New York, begeistert von Arthur Rimbaud, zeitweise Dauermieterin im Chelsea-Hotel, und obwohl sie bald als große Schwester des Punk gefeiert werden sollte, stak sie tief in der romantischen Tradition der Hippie-Bewegung. Also auch in den Spuren der Großen, deren Tod das Ende der Woodstock-Ära markiert hatte: Brian Jones, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison. Die wirklich alle mit 27 gestorben sind. So wie Kurt Cobain (†1994) und Amy Winehouse (†2011), für die Patti Smith ebenfalls Songs schrieb, „About a Boy“ und „This is the Girl“.

Doch das war später, viel später, als Patti Smith auch schon ihre Eltern verloren hatte, ihren Pianisten Richard Sohl und ihre Lebensmänner, Fred „Sonic“ Smith (†1994), mit dem sie zwei Kinder bekommen hatte, und Robert Mapplethorpe (†1989), den Partner ihrer frühen Jahre, der das Coverfoto von „Horses“ gemacht hatte. „Roberts Bild würde die Scheide für mein akustisches Schwert zieren“, schrieb sie, immer schon vernarrt in martialische Metaphern, in „Just Kids“, und nannte die Vorgaben: „Ich wusste nur, dass es wahrhaftig sein sollte. Das Einzige, was ich Robert versprochen hatte, war, mir ein sauberes Hemd anzuziehen, ganz ohne Flecken.“

Weiß. Unbefleckt. Auch das ist ein Motiv von „Horses“: die Unschuldserklärung. Die Platte beginnt, zu anfangs getragenem Klavier, mit dem Satz „Jesus died for somebody's sins but not mine.“ Das war kein atheistisches Lippenbekenntnis, sondern die tief empfundene Aussage einer Frau, deren Eltern, Zeugen Jehovas, sie mit Gebeten erzogen hatten. 1998 sang sie diese Zeilen auf dem Salzburger Domplatz kniend, mit dem Gesicht zum Dom, 2005 war sie in Rom, als Benedikt XVI. gewählt wurde („Ich bin keine Katholikin“, sagte sie, „aber das war ein erhebendes Gefühl“), 2013 schüttelte Papst Franziskus ihre Hand, im Dezember 2014 trat sie im Vatikan auf...

Welche Sünden? „Gloria“, der erste Song von „Horses“, war im Kern von Van Morrison, ein rauer, knapper Rhythm'n'Blues, der nicht viel mehr sagt, als dass der Sänger ziemlich stolz darauf ist, dass die fesche Gloria seine Freundin ist. Patti Smith machte ein Bekenntnis daraus, nein, kein Unglaubensbekenntnis, aber eine trotzige Verweigerung: „My sins, my own, they belong to me, me.“ Auf einem Höhepunkt des Songs hört sie Glocken: „I heard those bells chimin' in my heart, going ding dong, ding dong.“ Die Glocken singen mit ihr: „Jesus died for somebody's sins but not mine.“

Welche Sünden? 1975, als „Gloria“ herauskam, war es noch aufsehenerregend, dass Patti Smith das Objekt der Begierde als Frau beließ. Lesben liebten das, Feministinnen sahen es als Fanal weiblicher Unabhängigkeit, doch „Gloria“ ließ und lässt nicht nur in lila Häusern die Tanzflächen glühen, Männer und Frauen skandieren bis heute die Buchstaben des Namens Gloria gemeinsam. Es wirkt noch immer, nicht nur bei Katholiken.

„Pretty little girl, everyone cried“: Der nächste Song auf dem Album, „Redondo Beach“, mischt Erinnerungen an ihrer Schwester Linda mit der Einbildung eines Selbstmords; der Strand der kalifornischen Stadt Redondo Beach war und ist bei Schwulen und Lesben beliebt. Auch „Kimberly“ heißt nach einer Schwester, deren Geburt Patti Smith halluziniert: „Oh baby, when you were born, it was dawn and the storm settled in my belly, and I rolled in the grass and I spit out the gas, and I lit a match and the void went flash, and the sky split and the planets hit, balls of jade dropped and existence stopped, stopped, stopped, stopped.“ Schon beim Lesen ist der Rhythmus überwältigend, die rohen Synkopen der Patti Smith Band steigern ihn noch.

„I feel like some misplaced Joan of Arc“, singt Patti Smith im selben Song, sich wie so oft zur einsamen Heldin stilisierend, die mit der elektrischen Gitarre in die Schlacht zieht. Als „field marshall“ bezeichnete sie sich gern und haderte offensiv mit ihrer Weiblichkeit: „Female. Feel male“, so beginnt ein Gedicht, in dem sie Gott kniend bittet, „to place me in my own barbaric race. The male race. The race of my choice.“

Es ist eine seltsame Pointe, dass just das erste Album dieser Frau nach den Tieren heißt, die schon damals Lieblingsmotive für Mädchenzimmer waren. Patti Smith, ein Pferdemädchen? Ja und nein. Auch bei ihr stehen die Pferde für die Sehnsucht nach Freiheit, wie das Meer, ebenfalls ein Motiv in „Land“, dem 17-minütigen zentralen Stück von „Horses“. Patti Smith erforscht „the sea of possibilities“, es sind blutige Möglichkeiten: Der Bub namens Johnny, den die Pferde verfolgt haben, drückt eine Klinge gegen seinen Hals, ein roter Strom fließt, Johnny schreit so hoch, dass es keiner hört.

Do the Watusi. Am Ende findet man sich an einer Parkuhr wieder – wie schon in „Gloria“ – und dann in einem „simple rock'n'roll song“, vielleicht in „A Land of a Thousand Dances“, 1963 geschrieben, 1966 von Wilson Pickett zum Hit gemacht. Patti Smith zitierte ausführlich daraus, wenn die Punkgeneration wusste, dass man nicht nur den Twist, sondern auch den Mashed Potato, den Alligator und den Watusi tanzen kann, war das ihr Verdienst.

Nach diesem Tornado konnte nur mehr die erschöpfte, mit Gähnen in der Stimme interpretierte „Elegie“ folgen. Sie endet mit einer Variation über Zeilen aus „1983... (A Mermaid I Should Turn to Be)“ von Jimi Hendrix: Wie traurig, dass unsere Freunde nicht mehr unter uns sind.

„I don't fuck much with past, but I fuck plenty with the future“: So leitete Patti Smith 1978 einen ihrer „Babelogues“ ein, der in den hymnischen Song „Rock'n'Roll Nigger“ mündete. Couragierte Zeilen, doch sie hat damals gewiss schon gewusst, dass sie nicht stimmen. Der Aufbruch, den sie feiert, hat sich von Beginn an von Erinnerung genährt. An Lebende und, wie das so ist im Leben, immer mehr auch an Tote.

Patti Smith, immer noch wilden Sinnes und wirren Haares, beschwört Geister. Seit zehn Jahren den Geist ihres Albums „Horses“, „geboren aus Unschuld, Unbeholfenheit und purem Überleben“, wie sie selbst sagt, und wer könnte es besser sagen?

Biografie

1946. Geboren in Chicago.

1967. Umzug nach New York, wo sie Robert Mapplethorpe kennenlernt.

1972. Erster Gedichtband: „Seventh Heaven“.

1974. Erste Single: „Hey Joe“.

1975.„Horses“, produziert von John Cale. Es folgten „Radio Ethiopia“. „Easter“, „Wave“ (1979).

1980. Ehe mit Fred „Sonic“ Smith.

1988. Erstes Comeback: „Dream of Life“.

1996. Zweites Comeback: „Gone Again“. Es folgten „Peace and Noise“, „Gung Ho“, „Trampin'“, „Twelve“, „Banga“ (2012).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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