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Popmuseum auf Reisen: Wiederkehr der alten Alben

VIENNALE FILMPREMIERE 'RED SHIRLEY': REED
VIENNALE FILMPREMIERE 'RED SHIRLEY': REEDAPA/HERBERT NEUBAUER
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The Who, Lou Reed, Brian Wilson, aber auch Metallica: Sie alle haben alte Alben als Gesamtwerke originalgetreu live aufgeführt.

Bis zu 30 Schellackplatten in getrennten Taschen, gebunden in einem Album aus Pappkarton: Das war die Urform von dem, was man heute noch Album nennt. Und was einst mit 33 (genauer: 331/3) Umdrehungen auf Plattentellern rotierte, im Gegensatz zu den Singles mit ihren 45 Umdrehungen. Bis 1965 war ein Album – jedenfalls im Pop – nicht mehr als eine Kompilation von zwei, drei Singles, dazu ein paar zusätzliche Songs, die respektlos Füllmaterial genannt wurden. Die Zusammenstellung war eher egal; die Einheit war der Song, im Idealfall der Hit.

Wer zuerst auf die Idee gekommen ist, dass das Popalbum eine Kunstform für sich sein könnte, ist ungeklärt. Beatles-Produzent George Martin? Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson? Als im Mai 1966 seine „Pet Sounds“ erschienen, empfanden die Beatles das als Herausforderung: Ihr damals aktuelles Album „Revolver“ – das sie angeblich zuerst, nach „Aftermath“ der Rolling Stones, „After Geography“ nennen wollten – war sophisticated, aber keine Einheit. „Sgt.Pepper's Lonely Hearts Club Band“ wurde zumindest so empfunden, zur Beunruhigung Brian Wilsons, der mit „Smile“, seiner „Teenage symphony to god“, antworten wollte, daran aber grandios scheiterte und (nicht nur deshalb) in Depression verfiel.

Konzeptalben, Inzwischen waren mit Bob Dylans „Blonde on Blonde“ und Frank Zappas „Freak Out!“ die ersten Doppelalben erschienen, 1968 antworteten die Beatles mit ihrem schlicht „The Beatles“ genannten, in weißes Cover gehüllten Album, 1969 präsentierte Pete Townshend das Album „Tommy“ seiner Who als „Rockoper“, die später zum Film und zum Musical verarbeitet wurde. In den Siebzigerjahren blühten die Konzeptalben, von den fantastisch-realistischen Welten von Yes und Genesis bis zu den genialen Mystifikationen David Bowies, der sich eine Zeit lang mit jedem Album selbst neu erfand, als Ziggy Stardust, als „Thin White Duke“ oder als „Lodger“ in der Mauerstadt. Wer im Pop ernst genommen werden und nicht nur „Hitfabrikant“ sein wollte, dachte in Alben. Dieses Prinzip haben auch Punk und New Wave nicht erschüttert: „Never Mind the Bollocks“ von den Sex Pistols oder „Fear of Music“ von den Talking Heads werden heute genauso in Listen der „wichtigsten Alben aller Zeiten“ geführt wie „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd, wenn nicht öfter.

Die Idee, ein Album, dessen Entstehung schon viele Jahre zurückliegt, möglichst werktreu aufzuführen, ist naturgemäß noch nicht so alt. Nur ein paar Beispiel, an die sich der Kritiker erinnert: Die Who brachten 1997 ihr „Quadrophenia“ (1973) in seiner Gänze auf die Bühnen, Brian Wilson 2002 – ohne die anderen Beach Boys – seine „Pet Sounds“, allerdings nur als zweite Hälfte seiner Konzerte. Metallica führten 2012 ihr Album mit dem rein schwarzen Cover aus dem Jahr 1991 zur Gänze live auf. Lou Reed kam 2008 mit „Berlin“, das zur Zeit seines Erscheinens (1973) ganz und gar nicht allgemein als Meisterwerk rezipiert worden war. Im Gegensatz zu „Horses“, das Patti Smith 2005, zum 30.Jubiläum, in originaler Songabfolge zu präsentieren begonnen hat, ergänzt durch „My Generation“.

Solche Retro-Unternehmungen haben manchmal etwas Anmaßendes, oft etwas Berührendes. Einen wehmütigen Beigeschmack verleiht ihnen die Tatsache, dass sie so nur stattfinden können, solang die Künstler am Leben sind. Dann werden wohl Revival-Bands, wie sie heute schon vielfach am Werk sind, das Geschäft übernehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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