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Nile Rodgers: Im Spinnennetz des großen Disco-Verführers

(c) EPA (Laurent Gillieron)
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Nile Rodgers, eine der größten Legenden der Tanzmusikkultur, feierte bei der Nova Jazz & Blues Night in Wiesen sein lang ersehntes Österreich-Debüt. Auch Count Basic und Roisin Murphy – die menschliches Balzverhalten ironisierte – bezirzten.

Glamour, Mode, Drama und sorgfältig versteckte Botschaften – das war die Zauberformel der Discoband Chic. Ihre Protagonisten, der Gitarrist Nile Rodgers und der Bassist Bernard Edwards, verzauberten zwischen 1977 und 1981 nicht nur die Welt der Tanzmusik. Neben raffinierten Jazzlicks und erdigen Basslines hatten sie auch eine politische Agenda. Einerseits kreierten sie den Soundtrack der neu entstandenen afroamerikanischen Mittelklasse, andererseits unterstützten sie sämtliche emanzipatorischen Bewegungen von Women's bis Gay Liberation. Nile Rodgers, der nicht nur unzählige Welterfolge von schwarzen Acts wie Diana Ross und Sister Sledge komponierte und produzierte, betreute auch David Bowies Megaseller „Let's Dance“ und Madonnas „Like A Virgin“. Sämtliche seiner zahllosen Welthits hat er auf derselben, weißen Fender-Stratocaster-Gitarre komponiert. Sie liegt gleich neben seinem Bett.

Dieser Mann träumt nämlich nicht selten Musik. „I Want Your Love“, eines der ersten Stücke, die Rodgers in Wiesen mit den neu formierten Chic spielte, fiel ihm im Traum ein. Eigentlich unfassbar, dass der 63-jährige Superstar bislang noch nie in Österreich zu hören war. Als ob er ahnte, dass wir hierzulande Nachholbedarf haben, startete er mit „Everybody Dance“, dem ersten Hit von Chic: Ein fröhlich hüpfender Basslauf, verwoben mit einer eleganten Keyboard-Figur und betörendem weiblichen Gesang erklang – und schon tanzte die Menge ins Spinnennetz des Discoverführers.

Ein Freigeist und Partytiger

Der simplen Losung „Everybody dance, do-do-do, clap your hands“ gingen 1977 erbitterte Diskussionen voran. Rodgers, Freigeist und Partytiger, musste um dieses „do-do-do“ kämpfen. Sein konservativer Ko-Komponist, Bernard Edwards, hätte stattdessen lieber ein „la-la-la“ gehabt. „Ich genoss es, dass wir so konträre Typen waren. Diese Gegensätzlichkeit war das Fundament der Magie von Chic“, erinnert sich Nile Rodgers im Gespräch mit der „Presse“. Groben Schätzungen nach waren die beiden für Musikindustrieumsätze in der Höhe von 300 Milliarden Dollar verantwortlich. Vom Studio 54 aus eroberten diese Musiker mit Midas-Gaben die ganze Welt. Chic prägten den Soundtrack des Hedonismus der Siebzigerjahre. Rodgers sieht sich dennoch als politische Kraft. „Wir zelebrierten die sozialen Errungenschaften der Sixties. Wenn man sich die Discokultur ansieht, dann entdeckt man, dass sie von sämtlichen Minderheiten geprägt wurde. Uns ging es darum, die neue Stärke mit Glamour zu verbinden.“ Dieses zentrale ästhetische Paradigma will Rodgers keinesfalls als Machtstrategie gedeutet wissen. „In Clubs wie dem Studio 54 waren zwar auch reiche Leute, aber die meisten waren arm wie die Kirchenmäuse. New York erlebte in der Disco-Ära die größte Krise seit der Depression. Nicht Geld, sondern die Haltung ist für den Glamour entscheidend.“

Diesen strahlten dann Rodgers neue Sängerinnen aus. In seidigen Kleidern betörten sie mit charismatischen Stimmen und weichen, fließenden Bewegungen. Vor allem die blondierte Kimberley Davis vermochte mit ihrer kraftvollen Stimme zu begeistern. Ihre vitale Lesart von „He's the Greatest Dancer“ und „We Are Family“ sorgte für immensen Jubel. Kollegin Folami Thompson durfte „Like A Virgin“ singen, das sie faszinierend zerbrechlich anlegte. Nile Rodgers schrubbte derweilen an seinem Arbeitsgerät. Schließlich war er der Mann, der dem Jazz eine Schneise in den Disco erkämpfte.

Lust und Subversion verbinden

Das weiß auch die jüngere Generationen zu schätzen. Wie das französische Roboter-Disco-Duo Daft Punk, das ihn einlud, mit ihm zu arbeiten. Ergebnis? „Get Lucky“, in 107 Ländern auf Platz eins, und an diesem Abend eine Zauberwaffe. Wie auch Bowies Knaller „Let's Dance“, gesungen mit rauem R&B-Charme vom Schlagzeuger James Rouse. „I'm Coming Out“, „Upside Down“ und „Le Freak“ wurden mit feurigen Bläsersätzen und muskulösem Bass ausgestattet. „Good Times“, jenen Song, dessen funky Basslauf nicht nur Hip-Hop auslöste (die Sugarhill Gang kopierte ihn für „Rapper's Delight“), sondern auch weiße Bands wie Queen („Another One Bites The Dust“) mit Hits versorgte, sparte man fürs große Finale auf, für das man Tänzer aus dem Publikum auf die Bühne bat. Vor den großartigen Chic geigten die heimischen Count Basic mit Bläsersektion auf. Peter Legat entriegelte subtile Disco-Jazz-Licks, während Sängerin Kelli Sae starke Gefühle in formschönen Liedern wie „Sweet Spot“ und „All Time High“ verbreitete.

Legat brillierte beim genial neu aufbereiteten Discoklassiker „Stomp“. Äußerst intelligent ironisierte danach die irische Electro-Disco-Lady Roisin Murphy die Stereotype menschlichen Balzverhaltens. Mit einem ganzen Arsenal an Hüten, Handtaschen und bizarren Masken ausgestattet, faszinierte sie mit gehaltvollem Liedgut wie „Golden Era“, „Evil Eyes“ und „Pure Pleasure Seekers“, einem Knaller ihrer vorigen Band Moloko. Ein fantastischer Abend, der Lust und Subversion anstrengungslos verband.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2015)

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