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Iggy Pop: Lebenslust, Laster, Langeweile

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Ein „Dum Dum Boy“, trotz Hüftleidens: Iggy Pop war Headliner beim Festival Two Days A Week in Wiesen. Wild, beeindruckend.

Man muss das Schlüsselbein sehen, sagen heute die Damen und Herren der Mode. Bei Iggy Pop, der sich spätestens beim zweiten Song oben frei zu machen pflegt, sieht man nicht nur dieses, sondern alle Knochen und Sehnen: Je älter er wird – derzeit ist er 68 –, umso mehr werden seine Auftritte zur radikalen Vorführung von Körperlichkeit. Zum Theater eines Körpers, einer „flesh mashine“, wie's im programmatischen Song „Lust for Life“ heißt, die ein unruhiger Geist zucken lässt. Und, ja, auch der Hinfälligkeit: So gut er sich wild erhalten hat, dieser magere Mann, sein Hüftleiden macht ihm zu schaffen.

Von Schmerzen, im Herzen, aber auch im Nacken, hat er einst in „Five Foot One“ erzählt – und sein Rezept erklärt: „I wish life could be Swedish magazines.“ Dieser gierige, gejagte Song war einer der vielen aus seiner produktivsten Zeit (1977 bis 1979), die sein aktuelles Programm prägen. Darunter das überdrüssige „I'm Bored“, das in Maschinengeräusche mündende „Mass Production“, das aus komplettem Nihilismus („I never got my license to live“) neue Hoffnung ziehende „Some Weird Sin“. Und, als allerletzte Zugabe: „Dum Dum Boys“, diese knirschende Hymne auf die Gefährten der dekadenten Jahre, die sich aus diesen verabschiedet haben, lebend oder tot. „I'm looking for the Dum Dum Boys“, gellte Iggy Pop, „Where are you now, when I need your noise?“ David Bowie und er waren in ihren frühen Dreißigern, als sie das schrieben, es ist bestürzend, wie gut es aufs Alter und seine Einsamkeit passt.

„Last year I was 21...“

Die kanonischen Songs seiner Stooges brachte Iggy Pop auch, begleitet von einer Band mit wildem Mut zur Monotonie: „No Fun“, „I Wanna Be Your Dog“ und „1969“, mit den klassischen Zeilen: „Last year I was 21, I didn't have lots of fun.“ Kann man das mit 68 noch singen? Er tut es, kein anderer kann es besser. Natürlich stimmt es einen nachdenklich, wenn ein alter Mann das beste, wildeste, begehrteste Konzert eines vor allem von Jugendlichen besuchten Festivals spielt...

An diesem Abend hätte es – abgesehen von Santana (ebenfalls 68, siehe nebenan) eine Pop-Alternative gegeben: Tocotronic in der Arena. Ihr aktueller Song „Die Erwachsenen“ beginnt mit den Zeilen: „Man kann den Erwachsenen nicht trauen, ihr Haar ist schütter, ihre Hosen sind es auch.“ Der Refrain ist, Achtung Ironie: „Wir sind Babys, sie verstehen uns nicht.“ Die Mitglieder von Tocotronic sind 44, ihr Sänger erklärte kürzlich seine Vorliebe für französische Philosophen à la Derrida: „Mir wäre nichts ferner, als Klartext zu reden. Das ist der direkte Weg zur Pegida.“

Dann doch lieber Iggy Pop.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2015)

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