Pop

Frequency: Kraut, Rüben und etwas Magie

AUSTRIA MUSIC
AUSTRIA MUSICAPA/EPA/HERBERT P. OCZERET
  • Drucken

Viel Geböllere und kleine Subtilitäten beherrschten den ersten Tag. Highlights waren die Damen Courtney Barnett und Francesca Belmonte sowie die Chemical Brothers.

Genretreue sucht man dieser Tage auf Popfestivals vergebens. Längst gehört es auch in der Musik zum guten Ton, keine ideologischen Berührungsängste zu haben. Es kann auch gefallen, was nicht schicklich ist. Und man muss das nicht mögen, was die Gatekeeper des Zeitgeists für unverzichtbar halten. Trotzdem wäre das unendliche Spiel der Differenzen, die Freude an mannigfaltigen Ästhetiken, erheblich lustvoller, würde eine gestalterische Absicht der Veranstalter sichtbar. Das alljährliche Kraut- und Rübenpackage des Frequency wird längst nur mehr nach logistischen Erwägungen gebucht. Europaweite Absprachen unter den Veranstaltern garantieren, dass die großen zeitgenössischen Festivals in etwa so originell sind wie das Speiseangebot von McDonalds.

Und doch gab es am ersten Tag des Frequency in St.Pölten kleine Momente der Magie. Etwa als der Schwede José González auf der schnuckeligen Green Stage den klandestinen Klassiker „This Is How We Walk on the Moon“ anstimmte. „Every step is moving me up“, sang er mit folkig-zärtlicher Stimme. Der Perkussionist bemühte sich redlich, die subtilen Gefühle eines „Es wird immer besser“ auf dezenten Polyrhythmen zu schaukeln. Das Lied stammt aus der Hinterlassenschaft des legendären Arthur Russell. Der 1992 an Aids verstorbene Cellist hinterließ ein monströses, unveröffentlichtes Werk, das lustvoll zwischen Disco, Folk, Elektronik und Avantgarde irrlichterte. Schön, das Gonzàlez diesen postum veröffentlichten Song aufgriff.

Neben seiner eigenen, mit feiner Hand gestrickten Wirkware hatte er an diesem Nachmittag auch Lieder seiner früheren Band Junip, von Massive Attack und Kylie Minogue auf den Lippen. Kylies leicht sterilen Achtzigerjahrehit „Hand on Your Heart“ verwandelte er zur Freude der Fans in eine beseelte Folknummer. Wunderbar, wie er sich Zeit genommen hat, die simplen Harmonien mit kleinen Exzentrizitäten zu würzen, getreu der alten Weisheit, dass alles Plötzliche böse ist und das Gute verlässlich langsam.

Wie einst Jimi Hendrix

Auf Zeitlupengrooves aus dem Laptop verließ sich auch die geheimnisvolle Sirene Francesca Belmonte, die ihre Stimme bislang hauptberuflich Tricky lieh. Dieser betreute auch ihr neues, wunderbar sublimes Opus „Anima“. Belmonte verführte in eine Welt des Zwielichts, in der Werteumkehrung und Mystik große Rollen spielen.

Einen in die Eingeweide fahrenden Kehraus zelebrierte später die Australierin Courtney Barnett in derselben Besenkammer namens Weekender Stage. Faszinierend, wie sich da wütender Lärm in soulige Melodie verwandelte und umgekehrt. Ihre schönsten Soli spielte sie auf dem Boden kauernd wie einst Jimi Hendrix. Barnetts geniale Mischung aus Grunge und Folk bezirzte, ihre schrulligen Texte aber noch mehr. Seit dem Mittsechziger-Bob-Dylan hat niemand mehr Alltägliches in so eigentümlicher Weise poetisiert wie sie. Allein der Titel ihrer heuer edierten Debütplatte war eine Köstlichkeit: „Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit“. Mit einer unschlagbaren Mischung aus Lakonik und Beseeltheit erzählte sie in von Seltsamkeiten unserer Tage. Besonders unter die Haut ging „Depreston“, eine Art Countryballade.

Ganz anders als die leichten Liedchen, die Ellie Goulding später zum Besten gab. Mit Covers von Major Lazer und dem unsäglichen Calvin Harris beschmutzte sie die letzten reinen Seelen mit konventionellem Radiopop. Major Lazer inszenierten sich dann als „die Menschen der Steigerung“, wie sie Philosoph Nietzsche einst voraussagte. Mit krass böllernder Musik inklusive der Integration älterer Welthits wie dem Remake von House of Pains „Jump Around“ flirteten sie mit einer Form von Ekstase, der Erschöpfung fremd ist. Ganz anders als die Chemical Brothers, die ihr Wissen um die Macht der richtigen Dramaturgie zwischen Laut und Leise zelebrierten. Es zeigte sich, dass neue Stücke wie „EML Ritual“ und „Go“ nahtlos zu Klassikern wie „Block Rockin' Beats“ passten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.